Von: Walter Spielmann
Wie der in Berlin lehrende Philosoph Byung-Chul Han in seinem soeben erschienenen, luziden wie düsteren und doch auch inspirierenden Buch zeigt, ist das neoliberale Regime derzeit damit beschäftigt, das Ideal der (ersten) Aufklärung zu tilgen. Ging diese noch davon aus, dass die Selbstermächtigung des Menschen zu einem Leben in Freiheit und Würde das Ziel einer von Vernunft geleiteten Entwicklung sei, so hat die von den Interessen des Kapitals diktierte «Psychopolitik» nicht weniger im Sinn als die Versklavung des Individuums.
mehr:
- Was hilft gegen die Psychopolitik des Kapitalismus? (Walter Spielmann, Zeitpunkt.ch, 21.11.2014)
siehe dazu:
- Ludwig Marcuse – Aufklärung damals und heute (ZEIT, 07.02.1964)
Er wird nur Befremden anstatt der gesuchten Aufklärung in ihr finden und gewiss geneigt sein, die Ursache dieses Befremdens auf den phantastisch erklärten Autor zu projizieren. In Wirklichkeit haftet solches Befremden an den Erscheinungen der Neurose selbst; es wird dort nur durch unsere ärztliche Gewöhnung verdeckt und kommt beim Erklärungsversuch wieder zum Vorschein. Gänzlich zu bannen wäre es ja nur, wenn es gelänge, die Neurose restlos von Momenten, die uns bereits bekannt geworden sind, abzuleiten. Aber alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass wir im Gegenteil aus dem Studium der Neurose den Antrieb empfangen werden, sehr viel Neues anzunehmen, was denn allmählich Gegenstand sicherer Erkenntnis werden kann. Das Neue hat aber immer Befremden und Widerstand erregt. (Freud, Bruchstück einer Hysterie-Analyse (1905), PDF, S. 4, Hervorhebungen von mir)- Vor 155 Jahren: Sigmund Freud wird geboren (Post, 08.05.2011, Hervorhebungen von mir)
Aber was hatte Freud statt der Illusionen zu bieten? Nur seinen traurigen Gott Logos, der, viel weniger mächtig als seine Vorgänger, von den großen Wünschen – «Menschenliebe und Einschränkung des Leidens» vermutlich nur einen kleinen Teil verwirklichen könnte, soweit die Natur, die «Ananke» es gestattete. Und das auch nur «sehr allmählich, erst in unabsehbarer Zukunft und für neue Menschenkinder». Denn «eine Entschädigung für uns, die wir schwer am Leben leiden, verspricht er nicht».
Eindringlich beschwört Freud den alten aufklärerischen Glauben an die Wissenschaft und damit an die Möglichkeit, durch sie etwas über die Realität der Welt zu erfahren, «wodurch wir unsere Macht steigern und wonach wir unser Leben einrichten können». Mochte er noch so oft betont haben, wie kraftlos der Intellekt im Vergleich zum Triebleben sei:
«Aber es ist doch etwas Besonderes um diese Schwäche; die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat.»Am Ende, «nach unzählig oft wiederholten Abweisungen», würde man sie verstehen, das wollte er gern glauben. Vielleicht war auch die Wissenschaft eine Illusion, doch hatte sie nicht durch ihre großen und bedeutsamen Erfolge den Beweis erbracht, daß sie keine ist? Er war nicht blind gegen ihre Bedingungen und Bedingtheiten. Gerade die Subjektivität allen Denkens, die Beschränkung der Wissenschaft, die Endlichkeit ihrer Resultate gibt ihm Hoffnung auf ihre pragmatische Kraft, ihren Sieg über alle Ideologien: «Nein, unsere Wissenschaft ist keine Illusion. Eine Illusion aber wäre es zu glauben, daß wir anderswoher bekommen könnten, was sie uns nicht geben kann.»
- Rudolf Steiner zum Ukraine-Konflikt (Zeitpunkt, 15.11.2014)
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