Samstag, 9. Mai 2015

Ein schweigsamer und viele gehorsame Generale, ein bornierter Diktator, ein beklopper Reichsjägermeister und die Kriegswende in Stalingrad

Walther von Seydlitz, der Realist von Stalingrad, wird achtzig Jahre alt


Ein Mann des Widerstandes gegen Hitler kam zu spät aus russischer Kriegsgefangenschaft, um die Anerkennung zu finden, die ihm gebührt. Er lebt zurückgezogen in einem Reihenhaus in Bremen, isoliert von seinen alten Kameraden, die ihm nicht verzeihen wollen, was er in Stalingrad und später getan hat. Dabei hat er lediglich Gesetze mißachtet, die unter Hitler bedingungslos zu befolgen längst fragwürdig geworden war: Walther von Seydlitz-Kurzbach, aus alter Soldatenfamilie stammend und von preußischer Tradition geprägt, General der Artillerie und Kommandeur eines Armeekorps in Stalingrad, begeht in diesen Tagen seinen 80. Geburtstag.

Seydlitz scheut die Öffentlichkeit, meidet Publizität, die viele nach dem Krieg zu ihrer eigenen Rechtfertigung gesucht haben. Leider, denn sein Wort hätte auch heute noch Gewicht. Der General wurde den Soldaten der Ostfront zum erstenmal bekannt, als er im Frühjahr 1942 bei Demjansk sechs eingeschlossene Divisionen freikämpfte, und zwar nach energischem Widerstand gegen einen anderslautenden Befehl Hitlers. Ende Oktober desselben Jahres stand er mit seinem I. Korps im Verband der 6. Armee in Stalingrad. Seydlitz drängte die Armee, die verlustreichen Stadtkämpfe an der Wolgafront einzustellen, damit sich die abgekämpften, dezimierten Truppen erholen und auf die erwarteten schweren Winterangriffe der Russen vorbereiten könnten. Doch die Armeeführung lehnte ab.

mehr:
- Der schweigsame General (Ernst Wilhelm Graf Lynar, ZEIT Online, 09.08.1968)
Zitat:
Trotzdem drängte Seydlitz jetzt Paulus immer wieder, die Initiative zu ergreifen und den sinnlosen Kämpfen ein Ende zu setzen. „Es war mir einfach unmöglich“, sagte er rückblickend „in dem elenden Verhungern, Erfrieren und Dahinsterben, in dem Zusammenknallen deutscher Soldaten durch offen aufgefahrene russische Panzer den letzten Sinn des Soldatentums und der Soldatenehre zu erblicken.“ Seydlitz war empört, daß Paulus selbst in letzter Stunde nicht das Unumgängliche selbst zu entscheiden wagte.
Stalingrad hat, wie wir heute wissen, nicht nur die äußere Wende im Zweiten Weltkrieg gebracht. Es hat auch den Krieg als Hitlers eigenen Krieg entlarvt. Wer immer Hitlers Ziele und seine Strategie beurteilen konnte, mußte sich jetzt die Frage stellen, ob weiter gekämpft und gestorben werden sollte. An dieser Frage schieden sich damals schon und scheiden sich noch heute die Geister – auch in der Bundeswehr.
Die Männer des 20. Juli 1944 haben die Frage für sich entschieden, ihr Widerstand sollte den Krieg so rasch wie möglich beenden. Nichts anderes wollte Seydlitz, als er sich in der Gefangenschaft dem bereits vorher gegründeten Nationalkomitee Freies Deutschland (als Vizepräsident) und dem Bund Deutscher Offiziere (als Präsident) zur Verfügung stellte. Daß er dort mit Kommunisten, Vertretern eines anderen totalitären Regimes zusammenarbeiten mußte, hat ihn in schwere Gewissenskonflikte gestürzt. Er entschloß sich dazu erst, nachdem ihm Ende August 1943 der NKWD-General Melnikow im Namen der sowjetischen Regierung zugesichert hatte, daß nach einem kampflosen Rückzug der deutschen Truppen die Reichsgrenzen von 1937 garantiert würden.
Ihm ging es darum und um den Sturz Hitlers. In diesem Sinne richtete er seine eindringlich formulierten Briefe an die obersten Kommandeure der deutschen Ostfront. Von den Intrigen und ideologischen Machtkämpfen innerhalb des Komitees und des Bundes Deutscher Offiziere hielt er sich fern; allen kommunistischen Annäherungsversuchen wies er die kalte Schulter. Er gab sich auch keinen Illusionen hin über den Wert der sowjetischen Grenzgarantie – sie schriftlich zu bestätigen hatte Melnikow verweigert –, und er verkannte auch nicht, daß sein Einfluß auf die Soldaten der Ostfront, die er über Lautsprecher und in Flugblättern ansprach, unbedeutend bleiben würde. Dennoch ergriff er diese letzte, wie auch immer begrenzte Chance, um zu retten, was noch für Deutschland zu retten war. Er nahm dabei in Kauf, daß Hitler ihn in Abwesenheit zum Tode verurteilen ließ und seine Familie ins KZ brachte.
siehe auch:
- Walther von Seydlitz-Kurzbach – General im Schatten Stalingrads (Bodo Scheurig, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin. PDF)
Zitat:
Ähnlich abschreckende Erfahrungen im Sponeck-Prozeß, in dem Seydlitz trotz Sträubens als Beisitzer fungieren mußte. Sponeck hatte auf der Krim eigenmächtig Rückzüge befohlen, weil er glaubte, nur durch Absetzbewegungen sein bedrängtes Korps retten zu können. Das Korps wurde gerettet, verlor aber Teile der Ausrüstung. Göring, Vorsitzender des Kriegsgerichts, informierte Seydlitz, daß Hitler die Todesstrafe verlange, um ein warnendes Exempel zu statuieren. Hinterher sei beabsichtigt, Sponeck zu fünfzehn Jahren Festungshaft zu begnadigen. Seydlitz empörte das von vornherein feststehende Urteil, ebenso Görings "abfertigende" Verhandlungsführung, die keine Zeugenaussagen gestattete. Das Kriegsgericht verurteilte, wie geplant, Sponeck zum Tode. Hitler begnadigte ihn darauf zu sechs Jahren Festungshaft; 1944 ließ Himmler den General kurzerhand erschießen. Sponeck bekannte sich im Schlußwort zu seinem Handeln. Seydlitz entnahm dem Prozeß, daß auch der höhere Truppenkommandeur zu einem willenlosen Befehlsempfänger herabgewürdigt werden sollte. Selbständige Regungen galten als Schmach - ein Gehorsamsprinzip, das bewährte Grundsätze zerstörte. […]
Der abnorme Frontbalkon um Demjansk blieb. Zwölf Divisionen hatten ihn und den freigekämpften "Verbindungsschlauch" in erbittertem, verlustreichen Ringen weiterhin zu halten. Eine "Panzerarmee Model" trat nie zum Angriff an. Erst Stalingrad veranlaßte Hitler, dieses makabre Kapitel Kriegsgeschichte abzuschließen. Seydlitz leugnete nicht, daß der Demjansker Frontbalkon feindliche Kräfte fesselte. Aber Hitlers Führung verhöhnte erprobte Grundsätze; sie klebte an jedem Quadratkilometer russischen Bodens und war "unfähig zu beweglicher, mit örtlichen Rückzügen verbundener strategischer Konzeption". Die maßgebenden Berater, schien es, vermochten sich nicht gegen den Diktator durchzusetzen. Statt Hitler von unsinnigen "Intuitionen" notfalls gewaltsam abzubringen, zeigten Halder wie Jodl Schwäche und Unterwürfigkeit. Militärischer Dilettantismus triumphierte. Seydlitz begann zu ahnen, daß solch eine Spitzengliederung alle Erfolge der Wehrmacht verspielen mußte. Seine Ablehnung Hitlers wuchs. Von jetzt an quälten ihn Sorgen um die Fronttruppe. Der Krieg, so glaubte er, war auch ohne den "neuen, fürchterlichen Gegner Amerika" auf dem Schlachtfeld verloren. […]
Zangenschluß der Roten Armee bei Kalatsch (Quelle: Wikipedia)
 Drei Tage später vereinigten sich die sowjetischen Keile bei Kalatsch: die 6. Armee war umgangen und von rückwärtigen Verbindungen abgeschnitten. Paulus, dessen Chef des Stabes Schmidt und die übrigen Generale wußten: die Lage der 6. Armee nötigte zum sofortigen Ausbruch nach Südwesten. Alternativen entfielen. Richthofen, Fiebig und Pickert, die Luftwaffenkommandeure vor Stalingrad, erklärten unmißverständlich, daß eine Luftversorgung für 250.000 Mann ausgeschlossen sei.
So eindeutig die Situation: Hitler befahl der Armee, Stalingrad zu halten und Entsatz abzuwarten. Seydlitz begriff, daß sich Demjansk wiederholen sollte. Eindringlich beschwor er Paulus, unverzüglich zu handeln und nach oben zu melden, daß die Ereignisse eine Kesselbildung unmöglich gemacht und den Ausbruch erzwungen hätten. Solche Sprache - schien ihm - deckte die einzig denkbare Lösung, nannte vollendete Tatsache, was einzuleiten war, und vermied offenen Ungehorsam. Kräfteabgaben des L1.Korps, mit denen die inzwischen umklammerte Armee ihre Fronten stabilisierte, förderten den richtigen, unumgänglichen Entschluß. Um ihn und die notwendigen Rückzugsbewegungen zu beschleunigen, verkürzte Seydlitz Abschnitte seines Korps - eine "Eigenmächtigkeit", die Krisen auslöste und Kriegsgericht einzutragen drohte.
Der Vorfall blieb bedeutungslose Episode. Die Würfel fielen woanders. Paulus konnte sich nicht zu selbständigen Taten entschließen. Er bat um Handlungsfreiheit und verlor sie. Hitler, dem Göring ohne Detailstudien zusicherte, daß die Luftwaffe auch 250000 Mann versorgen werde, beharrte auf seiner Weisung. Einsprüche des Generalstabschefs wurden abgetan oder zurückgewiesen. Die Spitze der 6. Armee gehorchte und verleugnete die klaren, unwiderlegten Schlüsse, die sich ihr zuvor aufgedrängt hatten. Glaube ersetzte Analysen. Wie alle Generale mußte Seydlitz den "Führerbefehl" hinnehmen. Die Haltung der Vorgesetzten ließ keinen Ausweg. Obschon eigens zum verantwortlichen Befehlshaber der Stalingrader Nordfront ernannt, vermochte er mit einem Korps nicht gegen die Armee zu handeln.
Um so demütigender die Weisung des Diktators. Weniger denn je täuschte sich Seydlitz über die Widersprüche, in die sie gerade ihn verstrickte. Seit der Kampf im Ruinengewirr Stalingrads tobte, war er gezwungen, bewährte Führungsmaximen zu verletzen: für den guten Kommandeur eine Kette qualvoller Konflikte. Nun hatte er erst recht die bessere Einsicht zu widerrufen und umzustoßen, doch der Wahnwitz einer Einkesselun9 von 22 Divisionen schien Seydlitz zu ungeheuerlich, die Selbstbeschwichtigung der obersten Ränge würdelos und unerträglich. In einer Denkschrift vom 25. November 1942, die sein Stabschef Obersti. G. Clausius entwarf, verlangte er noch einmal den Ausbruch der 6. Armee.
Die Denkschrift umging jene angeblich unbekannte "große Lage", die Paulus zum Vorwand des Gehorsams nahm; Seydlitz rechnete mit dem Übersehbaren: einfachen Faktoren. Würde das LI.Korps, so die Resultate, "auf ganzer Front angegriffen", hätte es sich angesichts der Munitionslage in zwei, drei Tagen "verschossen". "Woher die für die Versorgung der Armee benötigte große Zahl Ju (52) genommen werden soll, ist nicht ersichtlich. Wenn sie überhaupt vorhanden ist, müssen die Maschinen aus ganz Europa und Nordafrika erst zusammengeflogen werden ... Selbst wenn täglich 500 Maschinen statt der in Aussicht stehenden 130 landen werden, können nicht mehr als 1000 Tonnen Güter herangebracht werden, die für den Bedarf einer Armee von rund 200000 Mann, im Großkampf und ohne Vorräte, nicht ausreichen." Allenfalls Bruchteile des notwendigsten Munitions-, Treibstoff- und Verpflegungsbedarfs dürften den Kessel erreichen.
Dem Gegner winke "ein Sieg in einer Vernichtungsschlacht klassischen Ausmaßes". Er kenne die deutschen Versorgungsschwierigkeiten. "Mit unverminderter Heftigkeit" werde er weiterhin angreifen. Scheiterten mehrere seiner Angriffe, "wird doch der Enderfolg dann eintreten, wenn die Armee sich verschossen hat und wehrlos ist". Dem Feind derartige Überlegungen absprechen, hieße "das unrichtigste Handeln erwarten. Dies hat in der Kriegsgeschichte stets zu Niederlagen geführt". Der Vernichtung könne die 6. Armee nur entgehen, sofern Entsatz in kürzester Frist wirksam würde. Für ihn läge aber nicht ein einziges Anzeichen vor. "Der Aufmarsch einer zu schnellem Durchstoß über den Don und gleichzeitiger Abdeckung ihrer Nordflanke ausreichenden Armee ... dauert Wochen. Hinzu kommt der Zeitbedarf für die Operationen selbst, der bei den Unbilden der Witterung und den kurzen Tagen der jetzigen Jahreszeit bedeutend größer ist als im Sommer."
Seydlitz weigerte sich zu glauben, daß die Truppe "bewußt aufgeopfert" werden solle. Die zwingende Folgerung lautete daher: sofortiger Ausbruch, um wenigstens die Masse der 6. Armee dem Untergang zu entziehen. "Jedes Zögern mindert seine Aussichten, mit jedem Zögern nimmt die Zahl von Kämpfern und Munition ab. Mit jedem Zögern wird der Feind an der Durchbruchsfront stärker ... Hebt das OKH den Befehl zum Ausharren in der Igelstellung nicht unverzüglich auf, so ergibt sich vor dem eigenen Gewissen gegenüber der Armee und dem deutschen Volke die gebieterische Pflicht, sich die durch den bisherigen Befehl verhinderte Handlungsfreiheit selbst zu nehmen und von der heute noch vorhandenen Möglichkeit, die Katastrophe durch eigenen Angriff zu vermeiden, Gebrauch zu machen. Die völlige Vernichtung von zweihunderttausend Kämpfern und ihrer gesamten Materialausstattung steht auf dem Spiel. Es gibt keine andere WahL"
Paulus' Stabschef Schmidt befand in einer Randbemerkung, daß sich General von Seydlitz nicht den Kopf der Armee zu zerbrechen habe und die Armee nicht den des Führers. Generalfeldmarschall von Manstein, Oberbefehlshaber der für den Entsatz neugebildeten Heeresgruppe Don, reagierte klüger. Die Daten und Zahlen der Denkschrift beunruhigten ihn; sie dämpften seinen ursprünglichen Optimismus. In Meldungen an Hitler griff er die eindrucksvollsten Argumente auf, doch das Dokument legte er zu den Akten der Heeresgruppe. Was Seydlitz - nun auch im offenen Ungehorsam - abwenden wollte, begann sich einzustellen. Nahezu wortwörtlich bestätigte die Entwicklung alle Prognosen. […]
Seydlitz erlebte die vorausgesagte Katastrophe mit Bitterkeit. Was sie widerspiegelte, hieß für ihn: Dilettantismus und Wahn des Diktators, aber auch Feigheit und Versagen der militärischen Spitzen, die sich gegen jede Erkenntnis sklavisch unterordneten. 22 Divisionen - im Grunde zwei Armeen - wurden geopfert, dahingerafft. Ihr Kampf hatte nur noch die ärgsten Konsequenzen verfehlter Strategie abzumildern: jammervollste unter allen "Sinn"gebungen. Nirgendwo vermochte solch ein Zweck die Vernichtung von zweihunderttausend Menschen aufzuwiegen, geschweige denn zu rechtfertigen. Die Ohnmacht, die Seydlitz fühlte, steigerte seine innere Erregung. Einem Offizier, der ausfliegen sollte, erklärte er: niemand dürfe sich darüber wundern, wohin "wir bei dieser Führung geraten sind". Unfaßliche Entscheidungen, die traditionelle Lehren, ja, allgemeine Sittengesetze verhöhnten, trügen die Schuld am Zusammenbruch der 6. Armee. Die Verantwortlichen seien gerichtet. "Stalingrad ist eine Beresina im Quadrat2). Deutschland wird einmal ein Stalingrad im Quadrat sein."
Paulus bat Hitler in einem Funkspruch erneut um Handlungsfreiheit. Eindringlich verdeutlichte er die Lage im Kessel. Manstein befürwortete nun den Abbruch des grauenvollen, ungleichen Ringens, in dem sich die Eingeschlossenen weit länger als erwartet verteidigt hatten. Hitler jedoch untersagte Kapitulationsverhandlungen und befahl: Widerstand bis zur letzten Patrone! Das Würgen, jetzt in schneidender Kälte, dauerte an. Leiden und Sterben überstiegen alle Maße. Was der Armeeführung blieb, waren Entschlüsse der Verzweiflung. Erschöpfte und Versprengte wurden mit einigen Gramm Brot für Einsätze geködert, Kranke und schließlich auch Verwundete in improvisierte Stellungen gesteckt. Statt schwerer Waffen sollten Parolen bei der Abwehr eines Gegners helfen, der ungehindert aufmarschierte, umgruppierte und angriff. Die 6. Armee spürte, daß jede Hoffnung betrogen und ihre Treue verraten war; sie sank ins Chaos und verfluchte Hitler.
Seydlitz glaubte nicht, daß die Trümmer-Divisionen dieser Armee noch erhebliche Feindkräfte banden: der "Sieg in einerVernichtungsschlacht klassischen Ausmaßes" war den Sowjets gewiß. So bestürmte er Paulus, dem "sinnlosen Hinopfern" Einhalt zu gebieten und wenigstens organisiert zu kapitulieren. Paulus, längst Resignation, erwiderte: "Ich tue nichts." Darauf meldete ihm Seydlitz, daß er selbständig handeln werde. Seiner Truppe gab er Order, die Munition zu verschießen und den Kampf einzustellen - mit der Folge, daß er - abgesetzt wurde. Gegenweisungen verlangten, auf jene zu feuern, die sich ergeben wollten: Zeugnis des "heroischen Fanatismus", den Presse- und Rundfunkkommentare pathetisch feierten. allein der Feind machte nun ein Ende. Russische Infanterie- und Panzereinheiten spalteten die 6. Armee. Ihre Reste gerieten in einen Nord- und Südkessel. Unter totaler Auflösung erlosch am 31. Januar und 2. Februar 1943 der letzte Widerstand. Paulus, zum Generalfeldmarschall befördert, kapitulierte lediglich mit dem Armeestab und einigen Sicherungskräften. Vor seinem Kellergewölbe sollte es - Worte Schmidts - nicht zu Gefechten kommen. Der Tod, tausendfache Konsequenz barbarischer Durchhaltebefehle, galt nur für die namenlosen Soldaten. Trotzdem fielen noch, freilich nahezu verhungert oder erfroren, 92000 Mann in sowjetische Gefangenschaft. Die Schlacht um Stalingrad, blutigste und entsetzlichste des Zweiten Weltkrieges, war ausgekämpft.
Erste Verhöre offenbarten, daß der Sieger den eigenen Triumph kaum fassen konnte. Tschuikow, Kommandeur der unbezwungenen 62. sibirischen Armee, fragte: "Warum sind Sie im November nicht ausgebrochen? Wir hatten große Sorge." Seydlitz, niedergeschlagen, gab keine Antwort. Wenige Tage später wurde er wie die übrigen Generale nach Woikowo transportiert, ein Barackenlager hinter Moskau. Dieses Lager schien vollends zur Stummheit und Einflußlosigkeit auf das weitere Kriegsgeschehen zu verurteilen, doch Stummheit und Einflußlosigkeit lagen nicht im Sinne der Russen. Sie übergingen Regeln der Gefangenschaft und planten, die Spitzen der 6. Armee zu mobilisieren. Die Frontpropaganda brauchte Erfolge. […]
Das Massensterben der erschöpften Stalingrader Kriegsgefangenen, zusätzliche Katastrophe nach der grauenvollen Schlacht, drohte ebenso alle Chancen zu begraben. Nur 6000 Mann entgingen dem Tod. Diesen Rest jedoch wollten die Sowjets nicht verlieren. Stalin befahl, Musterlager zu errichten, und verfügte eine sogenannte Aufbauverpflegung. Geschmeidigere Politruks riefen ausgewählte Offiziere zu "Meetings" und sprachen allein noch von nationalen Pflichten. Ihnen half erschüttertes Siegesbewußtsein und die wachsende Überzeugung, daß, wer patriotisch dachte, nun versuchen müsse, das Reich zu retten. Die unorthodoxe Agitation trug Früchte. Mitte Juli 1943 kam es in Krasnogorsk bei Moskau zur Gründung des Nationalkomitees "Freies Deutschland". Ein Manifest - schwarz-weiß-rot umrandet3) - beschwor Volk wie Wehrmacht, Hitler zu stürzen und den Krieg zu beenden.
Manifest des NKFD · 1943 [3:23]

Hochgeladen am 13.12.2008
Национальный комитет «Свободная Германия» (нем. Nationalkomitee Freies Deutschland, или NKFD) — политический и организационный центр немецких антифашистов во время Второй мировой войны, созданный 12 июля 1943 года на территории СССР по инициативе КП Германии, в который вошли ведущие германские коммунисты, а также ряд немецких солдат и офицеров из числа захваченных в плен под Сталинградом.
The National Committee for a Free Germany (German: Nationalkomitee Freies Deutschland, or NKFD) was a German anti-Nazi organization that operated in the Soviet Union during World War II
Kurzer Auszug aus dem Manifest des Nationalkomitees Freies Deutschland (1943)
Text:
"Achtung, deutsche Soldaten!
Wir bringen einen Kurzauszug aus dem Manifest des Nationalkomitees Freies Deutschland.
Die Tatsachen beweisen: Der Krieg geht verloren. Wenn das deutsche Volk sich weiter willenlos und widerstandslos ins Verderben führen läßt, wird Hitler nur durch die Waffen der Koalition gestürzt. Das wäre das Ende unserer nationalen Freiheit und unseres Staates, das wäre die Zerstückelung unseres Vaterlandes. Wenn das deutsche Volk sich jedoch rechtzeitig ermannt, erobert es sich das Recht, über sein künftiges Geschick selbst zu bestimmen und in der Welt gehört zu werden. Das ist der einzige Weg zur Rettung des Bestandes, der Freiheit und der Ehre der deutschen Nation. Das Ziel heißt: Freies Deutschland!
Deutsche Soldaten und Offiziere an allen Fronten, Ihr habt die Waffen. Bleibt unter den Waffen! Bahnt Euch mutig - unter verantwortungsbewußten Führern, die eins sind mit Euch im Kampf gegen Hitler - den Weg zur Heimat, zum Frieden! Der Kampf für ein freies Deutschland erfordert Mut, Tatkraft und Entschlossenheit. Vor allem Mut! Die Zeit rennt, rasches Handeln tut not. Wer aus Furcht, Kleinmut oder blindem Gehorsam weiter mit Hitler geht, handelt feige und hilft, Deutschland in die nationale Katastrophe treiben. Wer aber das Gebot der Nation hört (...) und Leben und Ehr für sein Volk einsetzt, handelt mutig und hilft, das Vaterland von seiner tiefsten Schmach erretten.
Für Volk und Vaterland, gegen Hitler und seinen Krieg! Für sofortigen Frieden, für die Rettung des deutschen Volkes! Für ein freies, unabhängiges Deutschland!
Nationalkomitee Freies Deutschland"

siehe auch:
Bund deutsche Offiziere – Gitlär kaputt (SPIEGEL, 17.10.1966)
- Seydlitz: Verräter oder Widerstandskämpfer? (SPIEGEL, 29.08.1977)


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