Vietnam darf keine Warnung sein vor Kriegseinsätzen. Die Leute von der Antikriegsbewegung der frühen 70er Jahre, die bei all ihrer Zerstrittenheit recht hatte, sollen nicht als ermutigendes Beispiel gelten. Eine Oppositionsbewegung darf nicht gewinnen. Schon gar nicht an Deutungsmacht über eine Militäraktion, die vor vier Jahrzehnten wenig Ruhm einbrachte. Das Pentagon nannte die Operation seinerzeit – warum auch immer – Frequent Wind („Häufiger Wind“). Es gab den Auftrag, Ende April 1975 per Hubschrauber die letzten verzweifelten südvietnamesischen Helfer und Mitarbeiter aus der Hauptstadt Saigon herauszubringen.
Diese dramatischen Tage scheinen lange her zu sein. Die Hälfte der heutigen US-Bürger war nicht geboren, als in Vietnam Napalm abgeworfen, Wälder mit dem Pflanzengift Agent Orange entlaubt wurden oder Kambodscha durch die US-Invasion im April 1970 in einen Krieg taumelte, der Pol Pot und den Roten Khmer zum Aufstieg verhalf. Die US-Vietnamveteranen sind inzwischen ältere Herren. Auch die meisten Friedensbewegten von damals dürfen zum Seniorentarif die Subway benutzen.
Gefühl des Stolzes
40 Jahre nach dem Vietnam-Krieg gibt man in den USA zu: Die Sache war ein Desaster. Ex-Außenminister Kissinger – damals ein Hundertprozentiger – spricht von einem „schmerzlichen Prozess“. Amerika habe „seinen ersten Krieg verloren und die Richtschnur für sein Konzept der Weltordnung“. Eine Niederlage zuzugeben ist das eine, sie zu bewerten das andere. Und es wird heftig gerungen um die Deutungshoheit, die wichtig ist für eine Nation, die seit Vietnam pausenlos irgendwo Krieg führt.
Maßgebend bei der Vietnam-Analyse sind heute staatstragende Thesen des Kalibers: Man habe trotz des schlechten Ausgangs für das Gute gekämpft. Inzwischen wird die Vergangenheit so zurechtgebügelt, dass die nach Angaben des Veteranenministeriums 2,7 Millionen US-Soldaten, die zwischen 1964 und 1975 oft unfreiwillig als Wehrpflichtige nach Indochina mussten, in die Kategorie „Helden“ aufgenommen worden sind.
In einer Proklamation von Präsident Barack Obama am 28. Mai 2012, zum 50. Jahrestag des Vietnam Krieges, klang das so: Die „dankbare Nation“ ehre die Soldaten, „die tapfer gekämpft haben. Sie kämpften sich durch Dschungel und Reisfelder, Hitze und Monsun, heroisch, um die Ideale zu verteidigen, die uns Amerikanern wichtig sind“. Bei so viel Pathos bleibt nicht viel Platz zum Reflektieren über mehr als zwei Millionen tote Vietnamesen. Auch wenig Platz für die Anti-Kriegsbewegung und die vielen Wehrpflichtigen, die damals Befehle verweigert oder sich von der Truppe abgesetzt haben. 1971 hieß es im Armed Forces Journal, die Army in Vietnam befinde sich „in einem Zustand, der sich dem Kollaps nähert“. Nach dieser Erfahrung hat Präsident Richard Nixon die Wehrpflicht 1973 abgeschafft.
mehr:
- Ideale verteidigen, Geschichte umdeuten (Konrad Ege, der Freitag, 06.05.2015)
Apokalypse Vietnam: Der Krieg in Indochina 1968 bis 1975 [1:28:53]
Veröffentlicht am 13.06.2013
Mit russischen Waffen ausgerüstet, stürmen nordvietnamesische Soldaten den US-Stützpunkt Khe Sanh an der Grenze zu Laos. Obwohl der Angriff nur als Ablenkungsmanöver geplant war, entbrennt eine blutige Schlacht. 1973 wird ein Friedensabkommen in Paris unterzeichnet. Das Morden zwischen Süden und Norden geht weiter... Bislang unveröffentlichte Bilder aus Filmarchiven in Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, liefern neue Einblicke in die Geschichte Vietnams.
Im April 1975 wurden die letzten Amerikaner vom Dach der US-Botschaft in Saigon evakuiert: Einer der längsten Kriege des 20. Jahrhunderts war zu Ende. 25 Jahre später werteten die deutschen Dokufilmer Eike und Dehnhardt die Archive in Hanoi, Ho-Chi-Minh-Stadt und den USA aus und stellten bis dato unbekanntes Material zusammen.Gemischt mit Interviews von Zeitgenossen und Politikern, die für die historischen Weichenstellungen verantwortlich waren, entsteht ein recht ausgewogenes Bild über die Geschichte des Krieges.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen