Donnerstag, 15. Oktober 2015

Großbritannien: Abgeordnete dürfen überwacht werden

Seit Jahrzehnten haben sich britische Parlamentarier auf eine Zusage des Premiers verlassen, derzufolge sie nicht überwacht werden. Diese Zusage ist jedoch gar nicht gültig, hat das zuständige Gericht nun ganz überraschend geurteilt.

Die private Kommunikation von britischen Abgeordneten ist, anders als seit Jahrzehnten angenommen, juristisch nicht vor Überwachung geschützt. Zu diesem überraschenden Schluss ist das für die Geheimdienstaufsicht zuständige Gericht IPT (Investigatory Powers Tribunal) gekommen, berichtet der Guardian. Eine diesbezügliche, vor Jahrzehnten formulierte Doktrin sei im englischen Recht nicht anwendbar, habe das Gericht geurteilt. In der Entscheidung ging es nicht darum, ob die Kommunikation der Parlamentarier tatsächlich überwacht wird, sondern nur, ob das juristisch verboten wäre.

Jahrzehntealte Doktrin ungültig

Zu prüfen hatte das IPT demnach die sogenannte Wilson-Doktrin. So heißt eine 1966 von Premierminister Harald Wilson gegebene Zusicherung, dass die Telefone der Abgeordneten des Ober- und des Unterhauses nicht abgehört werden. Wilson hatte jedoch ergänzt, dass das widerrufen werden könnte. Darüber müsste das Parlament dann nicht sofort informiert werden. In der Folge wurde diese Doktrin trotzdem als gültig anerkannt und 1997 von Premier Tony Blair auf elektronische Kommunikation wie E-Mails erweitert. Erst am Montag habe Innenministerin Theresa May Abgeordneten zugesichert, dass die Wison-Doktrin weiterhin gelte.

Dem hat das IPT nun widersprochen und Wilsons Zusage als "politisches Statement in einem politischem Zusammenhang" bezeichnet, inklusive der damit "zuweilen verbundenen Zweideutigkeit". Die Kommunikation von Parlamentariern sei nicht stärker geschützt als die aller Bürger. Anders als Journalisten und Anwälte seien Abgeordnete in dieser Beziehung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht gesondert geschützt. An dieser Stelle spekuliert der Guardian wie die Abgeordneten auf solch ein Nein zu parlamentarischen Privilegien reagieren würden, wäre es aus Straßburg selbst gekommen.
mehr:
- Großbritannien: Abgeordnete dürfen überwacht werden (Martin Holland, heise News, 14.10.2015)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen