Donnerstag, 15. Oktober 2015

Wie rechts ist Deutschland?

Zwischen offenen Grenzen und geistiger Abschottung: Die "Bunte Republik Deutschland" in der existentiellen Situation
"Faule Griechen" oder "nette Nachbarn", Willkommenskultur oder Briefe gegen eine Politik der offenen Grenzen, Rassismus und Pegida, brennende Flüchtlingsheime oder Multikulti, "gefühlter Hippie-Staat" und Angela Merkels "Wir schaffen das" - Deutschland bietet derzeit ein schillerndes Bild, großes politisches Theater und überrascht den Rest Europas. Mehr denn je ist die Bundesrepublik Deutschland auch ein "Bunte Republik".

Der CSU geht es schlecht. Zu Franz Josef Strauß' Zeiten noch Avantgarde eines demokratischen Rechtskonservatismus ist die Partei, die Bayern als eine Art deutsches Texas wiedererfunden hat, längst zur dessen Schrumpfversion im Niemandsland zwischen regionalistischer Traditionsverwahrung und Rechtspopulismus mutiert.

Den deutschen Rechten geht es auch schlecht. Den Radikalen sowieso, auch die AfD ist eine traurige Schrumpfversion einstiger REP- und NPD-Erfolge und hat sich auch noch auf dem Höhepunkt ihrer Umfrageerfolge gespalten. Der siegreiche Extemistenflügel wird jetzt beherrscht von Frauke Petry, die erkennbar gern zur deutschen Marine Le Pen werden würde. Dafür fehlen ihr aber Charisma, Themen und Wähler. Allein wenn man per Pressemitteilung irgendwelche Klagen gegen die Regierung wegen "Schleuser-Tätigkeiten" ankündigt, langt es nochmal für eine Meldung auf Spiegel-Online.

Und ansonsten? Nur die vier Musketiere Botho Strauß, Rüdiger Safranski, Martin Mosebach und Jan Fleischhauer hissen seit Jahren die schwarzbraune Flagge. Jasper von Altenbockum verwandelt sie dann noch einmal pro Woche in einen FAZ-Leitartikel, für den er dann von emeritierten Volkswirtschaftlern oder CSU-Beratern per Leserbrief als "mentaler Rettungsanker" gewürdigt wird. Wer keinen anderen intellektuellen Beistand hat, um den muss es schlecht stehen.

mehr:
- Wie rechts ist Deutschland? (Rüdiger Suchsland, Telepolis, 11.10.2015)

Glauben die Intellektuellen wirklich, diesen Strömungen am besten dadurch gerecht zu werden, daß man sie ignoriert oder lächerlich macht. Was sich da in der Beölkerung zusammenbraut, muß irgendwie kanalisiert werden, sonst wandert es in den Untergrund ab. Und wenn das Scheißhaus explodiert, wundern sich alle und sagen: Das konnten wir nicht vorhersehen.

siehe dazu:
- Sloterdijk wirft Sarrazin-Kritikern Opportunismus vor (Die Welt, 20.10.2009)
- ?Ein Käfig voller Feiglinge? (Peter Sloterdijk, Cicero, 21.10.2009)
Weil er so unvorsichtig war, auf die unleugbar vorhandende Integrationsscheu gewisser türkischer und arabischer Milieus in Berlin hinzuweisen, ging die ganze Szene der deutschen Berufsempörer auf die Barrikaden, um ihm zu signalisieren: Solche Deutlichkeiten sind unerwünscht. Man möchte meinen, die deutsche Meinungs-Besitzer-Szene habe sich in einen Käfig voller Feiglinge verwandelt, die gegen jede Abweichung von den Käfigstandards keifen und hetzen. Sobald einmal ein scharfes Wort aus einem anderen Narrenkäfig laut wird, bricht auf der Stelle eine abgekartete Gruppendynamik los.
siehe auch:
- „Die Staaten verpfänden die Luft und Banken atmen tief durch“ (Interview mit Peter Sloterdijk, Handelsblatt, 17.12.2011)
»Im frühen 16. Jahrhundert hat sich ein exemplarischer Vorgang abgespielt: Jakob Fugger, der Reiche, hat sich die Tiroler Silberbergwerke vom Landesfürsten als Sicherheit geben lassen, während ein ungeschickter Verwandter aus der Linie der Fugger vom Reh die Stadt Lüttich als Pfand akzeptierte, wobei er eines morgens feststellte, dass eine Stadt kein Pfand sein kann, weil sie nicht zwangsvollstreckbar ist. Man braucht beim Glauben Pfandklugheit.« […]
Die kollektive Demoralisierung ist schlimmer als eine vorübergehende Rezession jemals sein kann. Rezessionen haben wenigstens eine begleitende Tugend, nämlich dass sie den Sinn für Maßverhältnisse wieder einüben. Nicht Maßhalten im Sinne von Den-Gürtel-enger-Schnallen, sondern Maß nehmen im Sinne von Das-Gefühl-für-die-Proportion-nicht-Verlieren. Seit Jahrzehnten leben wir in einer gespenstischen Atmosphäre, in der ständig verrückt machende Doppelbotschaften auf die Menschen einprasseln: Sie sollen zugleich sparen und verschwenden, sie sollen zugleich riskieren und solide wirtschaften, sie sollen hoch spekulieren und mit den Füßen auf dem Boden bleiben. Auf die Dauer führt das zu einer absoluten Zermürbung. Derselbe demoralisierende Effekt geht auch von der Tatsache aus, dass die leistungslosen Einkommen rasend schnell wachsen. Das vergiftet die jungen Leute, weil sie anfangen, sich in Scheinkarrieren hineinzuträumen. Das Ganze hat einen hässlichen psychologischen Namen: der Traum von der Überbelohnung. Viele stehen am Morgen auf und wollen schon die Höchstprämie haben. Der innere Millionär ist in allen geweckt. Er ist nur noch nicht kongruent mit der real existierenden Person. […]
Ich glaube, der Staat hat mit seinem Zentralbankwahn in den letzten 20 Jahren kapitale Fehler gemacht, und jetzt, da man die Folgen der Fehler sieht, will er sie beheben, indem er die Fehler in noch größerem Maßstab wiederholt. Man muss ja nur die Ergebnisse dieses Flutens der Märkte einigermaßen aufmerksam studieren. Das Resultat ist, dass dieses Geld ja zum allergrößten Teil, zu etwa 80 bis 90 Prozent, nicht in die reale Wirtschaft geht, sondern in die Finanzspekulation. Wir haben es also mit rein technischen Zentralbankfehlern zu tun, was man durch Lektüre des Buchs „Lombard Street“ von Walter Bagehot, das dort auf meinem Schreibtisch liegt, leicht in Erfahrung bringen kann. Es sind die Zentralbankfehler, die der Spekulation Tür und Tor geöffnet haben. Ich glaube deswegen auch kein Wort von dieser Gierpsychologie, die im Augenblick so gesellschaftsfähig ist. Natürlich gibt es einen Haben-wollen-Reflex in den Menschen, vor allem in der Form von Auch-Haben. Es gibt den Sammeltrieb bei den Frauen und die Beuteerwartung bei den Männern, und in unserem hermaphroditischen Zeitalter gehen beide Aneignungsreflexe ständig durcheinander. Aber wer hat denn das leichte Geld so hingelegt, dass jeder Passant ein Idiot sein müsste, der es nicht mitnimmt? Es sind letztlich die Zentralbanker gewesen, die die Spekulation ermöglicht haben. […]

Man muss die Möglichkeit der Realwirtschaft, an Kredite zu kommen, abkoppeln von der spekulativen Zwischenwelt der Geschäftsbanken, der Fonds und ähnlicher Einrichtungen. Das heißt also: Wenn schon der Staat sich als „lender of last resort“ nützlich machen will, dann soll er im Notfall Abkürzungen für die echten Kreditsucher in der Wirtschaft anbieten, statt acht Zehntel des klugen Geldes zu Niedrigstzinsen den Spekulanten nachzuwerfen. Einen solchen Shortcut zwischen der Bank höchster Instanz und der Realwirtschaft müsste man mal ausprobieren, dafür haben wir ja schlaue Institutionendesigner, die von solchen Dingen etwas verstehen. Das wäre eine einfache Maßnahme, um die zu mächtig gewordene Finanzmarktbranche systemimmanent in ihre Grenzen zu weisen. […]

Die Wirtschaftswissenschaft macht auf mich den Eindruck einer Disziplin, die ihre Grundlagen verloren hat. Die ganze Fakultät ist in einem desolaten Zustand. Man bekommt mehr und mehr das Gefühl, die Theorien als solche sind sich selbst wahrmachende Fiktionen, die man an keinem äußeren Maßstab festmachen kann. Für den Erkenntnistheoretiker ist das keine ganz neue Beobachtung. Niklas Luhmann hat schon vor 20 Jahren statuiert: Gute Theorie ist wie Instrumentenflug über einer geschlossenen Wolkendecke. Sichtflug ist nur für Amateure, der Durchblick bis auf den Grund ist für den Sozialwissenschaftler immer schädlich, weil er den Einflüsterungen seiner Subjektivität und Sentimentalität erliegt.
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ich frage mich:
Wer hat sich so’n Scheiß ausgedacht?


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