Freitag, 27. November 2015

TTIP: Die Selbstaufgabe des Staates

Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA sorgt weiter für zunehmenden Protest: Am 10. Oktober fand in Berlin die größte Demonstration seit den Antikriegsprotesten im Jahre 2003 statt. Bis zu 250 000 Menschen füllten die Straße des 17. Juni zwischen dem Brandenburger Tor und der Siegessäule, um für einen gerechten Welthandel und gegen TTIP zu demonstrieren.

Dass der Protest immer größer wird, liegt an den brisanten Details, die mehr und mehr aus den geheimen Verhandlungen an die Öffentlichkeit dringen. Sie belegen, wie das Abkommen demokratische Standards nicht nur zu unterlaufen, sondern geradezu auszuhebeln droht. 


So ist inzwischen bekannt, dass TTIP auch ein Kapitel über die regulatorische Zusammenarbeit enthalten soll. Demnach sollen sich beide Seiten über die Einführung neuer Standards und technischer Normen abstimmen, noch bevor diese den jeweiligen Parlamenten zur Abstimmung vorgelegt werden. Die öffentliche Empörung führte sogar bei der ansonsten TTIP-freundlichen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zu Protest: „Amerika soll bei unseren Gesetzen mitreden“, titelte sie empört.[1]

Doch damit nicht genug. Denn zu diesem Regulierungskapitel hat die EU-Kommission im Mai 2015 einen Textvorschlag in die Verhandlungen eingebracht, der noch weitaus Abenteuerlicheres vorsieht. An versteckter Stelle taucht dort im Artikel 2 c der Begriff international bodies auf. Damit sind Gruppen und Netzwerke gemeint, an denen die EU und die USA beteiligt sind. Sie erstellen Anforderungen, Empfehlungen oder Leitlinien, die sich auf das Angebot, die Genehmigungen, die Produktionsmethoden und Darbietungsformen von Waren und Dienstleistungen beziehen. Als Beispiele werden in einer Fußnote unter anderem die OECD und die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements (ICH) genannt.

Konkret liefern die bodies „Dokumente“, die im TTIP-Abkommen dann als Rechtsakte gewertet werden, als sogenannte international instruments. Diese instruments müssen dann – laut Artikel 10, 2b 1, präziser noch Artikel 13, 2 – von den vertragschließenden Parteien umgesetzt werden. Die Gruppen, deren Empfehlungen von den USA und der EU umgesetzt werden sollen, sind nicht im Einzelnen benannt; eine Liste oder gar eine abschließende Aufzählung fehlt. Das aber bedeutet nicht weniger, als dass sich die EU verpflichten soll, künftige Leitlinien unbekannten Inhalts, erstellt von einer unbekannten Anzahl ungenannter Gruppen, umgehend in politisches Handeln zu transformieren – an den Parlamenten vorbei. Kein Mensch bei Verstand würde im Privatleben einen solchen Vertrag unterschreiben, mit dem er sich künftig allen noch nicht bekannten Befehlen von ihm ebenso unbekannten Organisationen unterwerfen würde.

Um die Tragweite dieses Vorschlags deutlicher zu machen, hilft ein Blick auf die existierenden bodies. Einen genauen Überblick hat niemand, eine Liste all dieser Gruppen existiert nicht. Selbst neuere, ausführliche Handbücher sind nur in der Lage, beispielhafte Übersichten zu erstellen. Fest steht jedoch, dass die Zahl der bodies, die schon heute außerparlamentarisch Normen setzen, in den letzten zwanzig Jahren von einigen Hundert auf heute über zweitausend angestiegen ist.

Wie sie arbeiten, lässt sich an drei bekannteren Einrichtungen veranschaulichen: der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (Basel Committee) und der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH).

mehr:
- TTIP: Die Selbstaufgabe des Staates (Fritz Glunk, Blätter für deutsche und internationale Politik, November 2015)
siehe auch:
- Das TTIP-Regime: Wie transatlantische Handelseliten die Welt dominieren (Petra Pinzler, Blätter für deutsche und internationale Politik, Oktober 2015)
- Demokratie oder Kapitalismus? Vom Elend der nationalstaatlichen Fragmentierung in einer kapitalistisch integrierten Weltgesellschaft (Jürgen Habermas, Blätter für deutsche und internationale Politik, Mai 2013, gefunden bei Axel Troost)
- Die Habermas-Streeck-Kontroverse (Martin Höpner, Gesellschaftsforschung 2/2013, Mgefunden bei Max-Planck-Institut)

mein Kommentar:
Junge, Junge, da wird das Unter-die-Räder-kommen institutionalisiert!
Einige nützlichen Schwachmaten verdienen sich wieder mal irgendwelche Pöstchen, die anderen verdienen sich dumm und dämlich, und der Rest guckt in die alternativlose Röhre.
Ich fordere die Wiedereinführung der Prügelstrafe!
Und ich möchte gar nicht wissen, wer da im Hintergrund welche Fäden zieht.
Manchmal habe ich den Gedanken, wir sollen mit der ganzen IS- und Ukraine-Scheiße nur abgelenkt werden.
Die aktuelle Frage dürfte lauten: Wie können wir die europäische Gesetzgebung so manipulieren oder aushebeln, daß wir unsere genmanipulierten Lachse auch in Europa an die Leute verfüttern – und daran verdienen – dürfen? (Perversion in der Nahrungsmittelindustrie: Frankenfisch auf dem Teller – »kein materieller Unterschied«!, Post, 20.11.2015)

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