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Da ist dieses Bild, eingefangen von einer Livekamera aus ein paar Metern Höhe. Man sieht die weihnachtlich-prachtvoll geschmückten Bäume der Champs-Elysées, ungezählte Lichter blinken in pink und weiß. Und unter den Bäumen bewegen sich Menschen, in gelben Westen, stehen in kleinen Gruppen zusammen oder zu zweit oder einzeln, drehen sich um sich selber, warten, erwarten. Nein, sie sind nicht zum Weihnachtsbummel unterwegs. Ihnen geht es ums Ganze.
Paris, das ist meine Stadt seit Jahrzehnten. In der Vorweihnachtszeit treibt es mich hinaus, zu den großen Kaufhäusern am Boulevard Haussmann zwischen der Chaussée d’Antin und der Place St. Augustin, wo man in den Schaufenstern von La Fayette und Le Printemps wunderbare, aufwändig gestaltete Tableaus bewundern kann, in denen sich alles bewegt. Die Kinder können gar nicht genug davon bekommen, den auf schöne, altmodische Weise mechanisch animierten Figuren dabei zuzusehen, wie sie in lebensgroßen Küchen, Dachböden oder Fantasielandschaften ihren Unfug treiben. Für die ganz Kleinen stehen direkt vor den Scheiben Podeste, auf die sie von ihren Eltern gestellt werden, was gar nicht so einfach ist, denn hinter den Podesten stehen in mehreren Reihen dicht gedrängt Erwachsene, die sich vermutlich aus ihrer Kindheit noch an diesen Brauch erinnern und sich das Spektakel ebenfalls nicht entgehen lassen wollen.
Doch in diesem Jahr gibt es keine Idylle. Als die Stadtverwaltung die Pläne für den diesjährigen Schmuck der Straßen und öffentlichen Gebäude aus den Schubladen zog und die Ateliers der Kaufhäuser an den lebenden Bildern arbeiteten, konnte niemand ahnen, mit welcher Wucht eine Wut Fahrt aufnehmen würde, die sich nun seit Wochen in Frankreich Luft macht, vor allem in Paris. „Seit Wochen“, das ist nicht ganz präzise, man muss sagen, seit nunmehr vier Wochenenden. Wäre diese Wut seit Wochen, also Tag für Tag, aktiv, wäre Paris, die „Stadt der Liebe“ und „der Lichter“ vermutlich schon ein einziges Trümmerfeld. Man stelle sich vor, seit Wochen wären pausenlos Polizeikräfte von nahezu 10.000 Beamten rund um die Uhr im Einsatz und müssten Straßenkämpfe ausfechten mit Gegnern, die sich nicht nur aus unzufriedenen Bürgern rekrutieren, sondern zu einem wachsenden Teil auch aus militanten Krawallmachern, die weder auf Leben noch Eigentum Anderer Rücksicht nehmen. Zum Glück, muss man sagen, ist ein großer Teil der ursprünglichen, bürgerlichen Gilets Jaunes die Woche über an ihren Job und ihr familiäres Leben gebunden. Also der Teil der französischen Mittelschicht, der dank der herrschenden Politik mit ihrem Einkommen nicht mehr auskommen.
mehr:
- Eine materialistische, flammende Bewegung (Archi W. Bechlenberg, Publico, 15.12.2018)
Die Art, wie in Frankreich mit Protesten umgegangen wird, hat ihre Vorgeschichte…
Im Auftrag des Kaisers ließ [Baron Haussmann] ab 1853 den verwinkelten Kern der Stadt niederreißen und neue Viertel errichten, durchschnitten von Boulevards und großen Achsenstraßen. Weg mit den überbelegten uralten Behausungen voller Ratten und Feuchtigkeit, wo Unterernährung und Typhus die Kinder dahinrafften! Licht, Luft und Sonne für die Arbeiter von Paris, Arbeit für Tausende Landflüchtige beim Haus- und Straßenbau, Raum und Fluß dem wachsenden Verkehr – das war das Credo des Kaisers und seines Barons. Die Idee zu dieser sozialen Tat entstand im kaiserlichen Kabinett nach drei Aufständen der Pariser Arbeiter, zwei im Jahr 1848, einem 1851, als der Präsident der Republik, Louis Napoleon Bonaparte statt den nach der Verfassung notwendigen Rücktritt zu vollziehen, putschte und als Napoleon III. den Thron bestieg. Das Proletariat hatte was dagegen. Bei den Kämpfen erwiesen sich die Gassen und Winkel der Altstadt als hinderlich für die Truppen und günstig für den Barrikadenbau. Der Widerstand der Terroristen war nur mit hohem Blutzoll zu brechen, aber die Truppen siegten. Zwei Jahre später schleiften Hausmanns Arbeitskolonnen die Widerstandsnester. Boulevards und begradigte Straßen boten den Truppen gegen künftige Revolten genug Raum zum Aufmarsch und freies Schußfeld. Die kaiserliche Herrschaft schien gesichert. 1871, als die Pariser Kommune Napolen ins Exil trieb, zeigte sich der Fehler in der Rechnung. Was blieb, war das neue Stadtbild von Paris […]
[Robert Lynn, Die Meute im Nacken, hey! Thriller]
Eine Besonderheit war für die damalige Zeit die enorme Breite der Straßen von 20 m und mehr. Durch die breite sorgten die Straßen für genügend Licht und Luft in der Stadt. Die breiten Straßen wurden aber auch aufgrund von strategischen Aspekten angelegt: Da es in dieser Zeit vor allem im Osten der Stadt häufig zu Unruhen kam, konnten die Truppen des Kaisers das Volk wegen der breiten Straßen besser beobachten und bei Bedarf schneller eingreifen. Außerdem sollten die Viertel durch den Einschnitt, den die beiden Straßen bildeten, räumlich etwas voneinander getrennt werden, sodass die Gefahr von Aufständen und Unruhen reduziert werden sollte.
[Pariser Standorte: Struktur und Entwicklung der französischen Hauptstadt, Iris Gebauer, Ralf Binder, Geographie, Uni Stuttgart, 2005, PDF]
„Für den Zeitraum des Jahrhunderts ist die Liste der Demonstrationen, Unruhen, Handstreiche, Erhebungen und Aufstände, die in Paris stattgefunden haben, so lang, dass wohl keine andere Hauptstadt Vergleichbares aufzuweisen hat. Ihre Geografie, ihre Verteilung auf die verschiedenen Quartiers von Paris ist ein Spiegel der industriellen Revolution, des neuen Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitern, der zentrifugalen Migration der ‚arbeitenden und gefährlichen Klassen‘, der Entwicklung der großen städtebaulichen Veränderungen, der ‚strategischen Verschönerung‘ der Stadt. Es sind dieselben Straßen und dieselben Quartiers, deren Namen während des gesamten Jahrhunderts immer wieder genannt werden, aber man erkennt dennoch, wie sich das Gravitätszentrum des Roten Paris allmählich nach Norden und Osten verschob.“ (aus: Eric Hazan, Die Erfindung von Paris, Zürich 2006)
[Eine Lange Nacht über Le Grand Paris – Die neue Stadt die alte, Ruth Jung, Günter Lie, Deutschlandfunk, 08.08.2015, Manuskript-Auszug]
Kann mir jemand sagen, wieso ausgerechnet die beiden ältesten Demokratien (Frankreich und USA), die so stolz auf ihre Revolutionen sind, ihre Präsidenten wie Könige inszenieren?
Der französische Präsident Emmanuel Macron. [Charles Platiau/ epa] Quelle: Dienstplicht à la Macron (Stephan Dehnert, euractiv.de, 13.08.2018) |
siehe dazu:
- König von Versailles (Hansgeorg Hermann, junge Welt, 25.01.2019)
…und bevor sich jetzt jemand à la Putin-Bashing Gedanken über die soziopathologischen Strukturen von Macron Gedanken macht:
Es gibt einen Bedarf!
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