Donnerstag, 24. Januar 2019

Die Verbannung der Wahrheit

Seymour Hersh beklagt in seinen Memoiren den Tod des Investigativjournalismus.

Seymour Hersh ist einer der renommiertesten Investigativreporter seiner Zeit: So deckte er zahlreiche Vergehen der US-Regierung und des Militärs auf, darunter das Massaker von Mỹ Lai, die Abhöraffäre um Henry Kissinger oder die Lügen über die Ermordung Bin Ladens. Doch während er Politikern, Konzernen und den eigenen Redakteuren im Kampf um die Wahrheit die Stirn bot, sah er sich immer häufiger mit einem zweifelhaften Aspekt seines Berufsstandes konfrontiert: geheimen Übereinkünften mit den Mächtigen. In seinen Memoiren beklagt Hersh, was diese Anbiederung durch die Medien bedeutet: den Tod des Investigativjournalismus.

Der Investigativreporter Seymour Hersh beschreibt in seinen Memoiren mit dem Titel „Reporter“ einen Moment, in dem er als junger Journalist zufällig mithörte, wie ein Chicagoer Polizist den Mord an einem Afroamerikaner zugab. Der ermordete Mann war von der Polizei fälschlicherweise als Verdächtiger bei einem Überfall dargestellt worden, der erschossen worden sei, als er versucht habe, seiner Verhaftung zu entgehen. In verzweifelter Hektik rief Hersh seinen Redakteur an, um zu fragen, was er tun solle.

„Der Redakteur hielt mich dazu an, nichts zu tun“, schreibt er. „Es stünde mein Wort gegen das all der beteiligten Polizisten, und sie würden mich alle der Lüge bezichtigen. Die Botschaft war klar: Ich hatte keine Story. Doch natürlich hatte ich eine.“ Er beschreibt sich selbst als „voller Verzweiflung angesichts meiner Schwäche und der Schwäche eines Berufsstandes, der mit Kompromissen und Selbstzensur so leichtfertig umging“.

Hersh, der beste Investigativreporter seiner Generation, deckte das Chemiewaffenprogramm des US-Militärs auf, das tausende Soldaten und Freiwillige, darunter Pazifisten der Siebenten-Tags-Adventisten, als menschliche Versuchskaninchen benutzte, um die Auswirkungen biologischer Agenzien wie Tularämie, Gelbfieber, Rifttalfieber und der Pest zu messen.

Er brachte die Geschichte des Massakers von Mỹ Lai ans Licht. Er enthüllte die Abhöraktion Henry Kissingers gegen seine engsten Unterstützer im Nationalen Sicherheitsrat (NSC) sowie gegen Journalisten, die Finanzierung gewalttätiger extremistischer Gruppen durch die CIA zum Sturz des chilenischen Präsidenten Salvador Allende, das Ausspionieren einheimischer Regimekritiker in den USA durch die CIA, die sadistischen Foltermethoden amerikanischer Soldaten und beauftragten Personals im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis, und die Lügen der Obama-Regierung bezüglich des Überfallkommandos, das Osama Bin Laden tötete.

Doch er beginnt seine Memoiren mit dem — jedem Reporter vertrauten — aufrichtigen Geständnis, dass es von den Mächtigen verübte Verbrechen und Ereignisse gibt, über die man nie schreibt, jedenfalls nicht, wenn man seinen Job behalten will. In seinem Buch beklagt er unter anderem seine Entscheidung, einem Bericht nicht nachzugehen, den er erhalten hatte und der Präsident Richard Nixon beschuldigte, seine Frau Pat geschlagen zu haben, sodass sie in einer Notaufnahme in Kalifornien landete.

mehr:
- Die Verbannung der Wahrheit (Chris Hedges, Rubikon, 24.01.2019)

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Ursprünglich vom New Yorker bestellt, dann aber wie auch von der Washington Post abgelehnt,[139] erschien der Beitrag Whose sarin?[140] am 19. Dezember 2013 in der Literaturzeitschrift London Review of Books. Hersh setzt sich mit dem Giftgasangriff von Ghuta in Syrien vom 21. August auseinander und stellt die offizielle Darstellung der amerikanischen Regierung in Frage. Laut Hersh hatte die Obama-Regierung trotz gegenteiliger Behauptungen keinerlei Hinweise auf einen bevorstehenden Angriff mit dem Giftgas Sarin.[141] Die Medien hätten versagt, sie hätten die Verlautbarungen des Weißen Hauses ohne weiteres Nachfragen übernommen und die Erkenntnisse von Wissenschaftlern ignoriert. Der Waffenexperte Theodore Postol vom MIT stellte in einer Studie fest, dass die verwendeten Raketen „sehr wahrscheinlich“ vor Ort hergestellt worden seien. Dies jedoch habe der offiziellen Regierungsdarstellung widersprochen und sei deshalb nicht durch die New York Times aufgegriffen worden, jedoch publizierte Postol zuvor, in Zusammenarbeit mit Richard Lloyd, einen Artikel, der über den Nachweis von Sarin berichtete.[142] Vor dem Angriff hätten den US-Geheimdiensten Berichte vorgelegen, die aufzeigten, dass die Al-Nusra-Front in der Lage gewesen sei, größere Mengen des Kampfgases zu produzieren. Obama argumentierte in seiner TV-Ansprache am 10. September jedoch, dass Geheimdienstzeugen sowie UN-Inspekteure die Regierung unter Baschar al-Assad als Täter identifiziert hätten, obschon die Al-Nusra-Front in den Kreis der Verdächtigen hätte mit eingeschlossen werden müssen. Der Uno-Bericht vom 16. September lasse jedoch die Täterschaft offen, so Hersh. Die Ermittler vermerkten mit Sorgfalt, dass sie erst mit fünf Tagen Verzug Zugang zu den Orten des Anschlags erhalten hatten, und nur unter der Kontrolle der Rebellen. „So wie an anderen Orten“, warnte der Bericht, „waren die Örtlichkeiten vor Ankunft der Mission von anderen Personen gut besucht worden … Während der Zeit des Aufenthaltes an diesen Örtlichkeiten kamen Personen an, die andere verdächtige Waffen trugen, ein Hinweis darauf, dass derartiges potentielles Beweismaterial verschoben und möglicherweise manipuliert wird.“[139] Frank Nordhausen, Türkei-Korrespondent der Berliner Zeitung, bezweifelt die Darstellung, der zufolge Ankara Al-Kaida-nahe Gruppen mit Giftgas ausgerüstet habe: „Dafür liefert Hersh keinen einzigen harten Beleg. Er beruft sich nur auf Gespräche mit seinem US-Informanten, dessen Namen er nicht nennt. Hersh arbeitet zudem vorwiegend mit Unterstellungen, Aussagen vom Hörensagen und nicht identifizierbaren Quellen. Wo er konkret wird, sind seine Argumente schwach oder nachweisbar falsch. “[143] 
[Seymour Hersh, Giftgasangriffe in Syrien 2013, Wikipedia, abgerufen am 28.01.2019]
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siehe auch:
Der Giftgas-Anschlag in Ghuta/Duma, August 2013: West-Propaganda zu Syrien und eine vier Jahre alte Geschichte (Post, 17.04.2018)
SEYMOUR M. HERSH, REPORTER IN WASHINGTON (Post, 15.03.2008)


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Für die Aufdeckung der illegalen Aktivitäten der CIA wurde Hersh von der amerikanischen Presse zunächst attackiert, etwa von der Washington Post oder Newsweek. Hersh und sein Redakteur Abraham Michael Rosenthal, der Hersh Rückhalt bot, standen zu diesem Zeitpunkt allein.[81] Um den Anschuldigungen Hershs nachzugehen, berief Präsident Gerald Ford das Untersuchungsgremium Rockefeller-Kommission. Des Weiteren wurde Anfang 1975 das Pike Committee eingerichtet, um die Aktivitäten der CIA zu untersuchen, woraufhin das United States House Permanent Select Committee on Intelligence als ständiger
Memorandum: CIA Matters,
Mitschrift des Justizministeriums der
Vereinigten Staaten zu illegalen
Aktivitäten geschildert in den
„Familienjuwelen“ der CIA berichtet von
William Colby am 31. Dezember 1974
Geheimdienstausschuss entstand. Hershs Enthüllungen waren zudem ein wesentlicher Anlass für die Berufung des Church Committees des US-Senats,[82] das erstmals systematisch die Aktivitäten der US-Nachrichtendienste untersuchte. Infolge der Aufdeckung kam es zu umfangreichen Reformen der CIA.[62]
Walter Pincus schrieb in New Republic, dass seit Watergate nichts einen so großen Eindruck auf die Regierung hinterließ wie Hershs Artikel.[83] Nach Timothy S. Hardys Beurteilung habe Hersh es allein vollbracht, nachrichtendienstliche Aufklärung zu einem Hauptthema des Jahres 1975 zu machen, welchem sich weder Präsident Ford noch der Kongress hätten entziehen können. Eben dadurch sei in den Vereinigten Staaten Watergate erst zu dem Ereignis geworden, das es heute darstelle.[62] Laut Robert Miraldi wurde Hersh, in Folge seiner Entdeckung, zu dieser Zeit ein Liebling der amerikanischen Medien.[84] Der Journalismus änderte sich nunmehr, mit Hershs Präsenz wurde der investigative Journalismus zur Mode. So schrieb der Herausgeber der TimesArthur Sulzberger seiner Nachrichtenredaktion: „Alle Reporter sollten ‚investigative Reporter‘ sein, für was auch immer das steht.“ Teams von investigativen Journalisten wurden die Norm und eine Organisation namens Investigative Reporters and Editors (IRE) bildete sich 1975.[85]
[Seymour Hersh, Abhörskandal der CIA und Familienjuwelen, Wikipedia, abgerufen am 28.01.2019]

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Das Massaker von Mỹ Lai (Son My) war ein Kriegsverbrechen US-amerikanischer Soldaten in Südvietnam, das am 16. März 1968 während des Vietnamkrieges in dem Gemeindeteil Mỹ Lai des Dorfs Sơn Mỹ, genannt My Lai 4, begangen wurde. Das Massaker an 504 Zivilisten wurde von der US-Armee zunächst vertuscht. Erst durch Recherchen des investigativen Journalisten Seymour Hersh gelangte das Geschehen an die Öffentlichkeit, wobei die Veröffentlichung der Reportage zunächst für etwa ein Jahr von sämtlichen Medien abgelehnt worden war. Hersh erhielt 1970 den Pulitzer-Preis, die Veröffentlichung trug maßgeblich zum Wandel der öffentlichen Meinung über den Krieg bei.
[Massaker von Mỹ Lai, Wikipedia, abgerufen am 28.01.2019]
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Seymour Hersh on the golden age of journalism {7:12}

CBS Sunday Morning
Am 17.06.2018 veröffentlicht 
“Reporter: A Memoir,” by the Pulitzer Prize-winning investigative journalist Seymour Hersh, recounts a blockbuster career in which he shone a spotlight on war crimes and political scandals. CBS News national security correspondent David Martin sits down with the 81-year-old Hersh, still breaking scoops with zeal.

Seymour Hersh: USA verleumdeten Assad im Fall des Giftgas-Angriffs auf Ost-Ghuta {12:35}

RT Deutsch
Am 17.06.2018 veröffentlicht 
"Unsere Regierung wusste, dass es zwei Verdächtige gab" - Der US-amerikanische Investigativjournalist Seymour Hersh legt einige pikante Details zur Reaktion der USA und ihrer westlichen Verbündeten auf den Angriff in Ost-Ghuta 2013 offen.
Das 2013 bei einem Angriff der syrischen Regierungstruppen auf die damalige Rebellen-Hochburg Ost-Ghuta freigesetzte Sarin sei ein anderes gewesen als jenes aus den syrischen Armeebeständen, sagt Hersh.
Über dessen genaue Beschaffenheit hätten den USA die Daten vorgelegen - ebenso wie Proben vom Nervengift aus Ost-Ghuta, die russische Geheimdienste den USA zur Verfügung gestellt hätten. Auch weitere Daten aus geheimdienstlichen Lageberichten wiesen auf mindestens einen weiteren Verdächtigen hin - dennoch hätten die USA und ihre Verbündeten Baschar al-Assad zum einzigen Verdächtigen erklärt.
Nur mangels öffentlicher Unterstützung im Inland habe der damalige US-Präsident Barack Obama Syrien nicht bombardieren lassen, fasst Hersh zusammen.

(Doku in HD) Der Vietnamkrieg (5) Der Fall My Lai {44:27; Start bei 22:00}

DokuHeld2016
Am 12.03.2017 veröffentlicht 
Das 1968 von amerikanischen Soldaten an vietnamesischen Zivilisten verübte Massaker gehört zu den grausamsten der modernen Kriegsgeschichte und wurde zum Sinnbild des schmutzigen Krieges. Mittlerweile scheint klar zu sein, dass My Lai im Vietnamkrieg kein Einzelfall war.

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