Freitag, 7. März 2008

Berlin, New York, Bagdad: Der Krieg der Geheimdienste

Berlin. Wenn Geheimdienstleute in der Öffentlichkeit auftreten und über ihre Arbeit erzählen müssen, dann erwecken sie grundsätzlich den Eindruck, diese sei sterbenslangweilig. Viel Schreibtischarbeit, viel Aktenstudium. Manchmal aber kommt auf Umwegen heraus, dass das offenbar nicht stimmt.
Der Konkurrenzkampf ist hart in der Branche. Mit Staunen hört man zum Beispiel, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst BND und der US-amerikanische Geheimdienst CIA einander in herzlicher Abneigung zugetan sind. Und dass es geheimnisvolle Typen gibt, die gewöhnliche Feuerwehrautos in mobile Massenvernichtungswaffen verwandeln können und damit – auf Umwegen zwar, aber immerhin – einen echten Krieg auslösen.
Der Untersuchungsausschuss des deutschen Bundestages, der noch immer ohne nennenswerten Erfolg die Rolle der deutschen Geheimdienste im Umfeld des Irak-Krieges zu durchleuchten versucht, hatte am Donnerstag wieder einmal die Spitzen der Dienste nach Berlin geladen, aktuelle und ehemalige. Heinz Fromm, Verfassungsschutzpräsident, Ernst Uhrlau, Chef des Bundesnachrichtendienstes, August Hanning, Uhrlaus Vorgänger und heute Staatssekretär im Innenministerium, und Klaus Ulrich Kersten, ehemaliger Präsident des Bundeskriminalamtes, sollten zum Fall des Deutsch-Syrers Mohammed Haydar Zammar aussagen.
Zammar wurde nach den Anschlägen des 11. September 2001 von Marokko nach Syrien verschleppt, wo er seither in Haft sitzt. Der entscheidende Tipp, wo der Mann steckt, der mit der Hamburger Terrorzelle um die Attentäter vom 11. September in Verbindung gebracht wird, soll seinerzeit vom BND an die CIA weitergereicht worden sein. Heinz Fromm bestätigte nicht den Verdacht der Opposition, wonach Zammar vermittels der Marokkoreise US-Behörden zugeleitet werden sollte. Er wusste nach eigenen Angaben auch nicht, wann und wie Zammar von Marokko nach Syrien kam. Der Ausschuss will herausfinden, ob die deutschen Behörden genug getan haben, um den deutschen Staatsbürger vor Willkür und Folter zu schützen.
Weitergekommen ist man mit diesem Anliegen am Donnerstag nicht, zumal die obersten Geheimdienstler sehr darauf achteten, das Zusammenspiel ihrer Organisation mit der CIA dort zu belassen, wo man Geheimdienstliches gemeinhin vermutet – im Dunkeln. Dabei ist das Thema durchaus im Gespräch in Geheimdienstkreisen, weil in jüngster Zeit zwei von einander unabhängige Quellen aufgetan wurden, die etwas dazu beitragen können: ein amerikanischer Journalist und ein deutscher Diplomat.
Bob Drogin, Korrespondent der „Los Angeles Times“, hat sich auf die Spur des Asylbewerbers Rafid Achmed A. gesetzt. Dieser ist ein irakischer Ingenieur und Hochstapler, der unter dem Decknamen „Curveball“ mithalf jene Informationen zu liefern, die Amerika brauchte, um sich den Weg in den Irak-Krieg zu bahnen. Drogin hat ein Buch darüber geschrieben (erschienen bei Random House in New York), wie die Erzählungen des „Curveball“ jene Massenvernichtungswaffen zu belegen schienen, die Präsident George W. Bush als Begründung für den Angriff auf Bagdad anführte.
Dort, in der Nähe der irakischen Hauptstadt, will der junge „Curveball“ in einer angeblichen Saatgutwaschanlage mobile Biowaffenarsenale auf Lastwagenanhängern konstruiert haben. Die deutschen Geheimdienstler kauften ihm die Geschichte ab, weil er Orte und Namen nannte, die man beim BND kannte. Sein technischer Sachverstand machte ihn zusätzlich glaubwürdig. Die Deutschen wurden zunächst beim amerikanischen Militärgeheimdienst (DIA) vorstellig, später kümmerte sich die CIA um den Datenfluss aus der BND-Zentrale in Pullach. Die zuständige Abteilung im Kanzleramt, das angeblich auch Bescheid wusste, wurde damals von Ernst Uhrlau geführt, dem heutigen BND-Chef.
Als der Iraker vom BND mit Geld, Aufenthaltsrecht und einer neuen Identität versorgt worden war, wuchsen freilich die Zweifel an seinen Darstellungen. Mit den Amerikanern selbst wolle er nicht sprechen, behauptete der BND gegenüber der CIA, der Mann hasse Amerikaner und würde eine Befragung psychisch wohl nicht durchstehen. Den wahren Grund vermutet Drogin freilich darin, dass „Curveball“ immer mal wieder von deutschen Bauteilen sprach, die für die angebliche Biowaffenanlage geliefert worden seien. Etwas Entscheidendes fehlte allerdings immer: Beweise.
„Curveball“ wäre beinahe in Vergessenheit geraten, wenn die USA nicht vor den Vereinten Nationen in New York Belege und Zeugen für das angebliche irakische Waffenprogramm hätten aufbieten wollen. In einem Brief an seinen US-Kollegen George Tenet lehnte es der damalige BND-Präsident August Hanning 2002 ab, „Curveball“ zu enttarnen. Die Versuche, seine Angaben zu verifizieren, schreibt Hanning, seien „ohne Erfolg geblieben“. Kein Dritter habe solche oder ähnliche Angaben gemacht, die Quelle müsse als ungesichert gelten. Es sei der CIA allerdings freigestellt, bei Einhaltung des Quellenschutzes über „mobile Kampfstoffanlagen“ zu berichten.
Wie es dazu kam, dass die US-Regierung am 5. Februar 2003 ihren Außenminister Colin Powell dennoch in die peinlichste Vorstellung seines Lebens schickte – er selbst empfindet sie als „einen schwarzen Fleck auf meiner Weste“ –, hat mit den Beziehungen unter den Geheimdiensten nicht mehr unmittelbar zu tun. Offenbar hat die CIA erst nach diesem Ereignis „Curveball“ hinterhergeforscht und in seinem ehemaligen Viertel in Bagdad nichts anderes gehört, als dass er ein Aufschneider sei, seine Geschichten seien „total hokum“, Hokuspokus.
Vielleicht passten die Erzählungen von „Curveball“ einfach zu gut in die Kriegsvorbereitungen der Regierung Bush. Vielleicht aber waren die Amerikaner wirklich so naiv, alles zu glauben. Im letzteren Fall sind ihre Geheimdienstleute gleich zweimal betrogen worden.
Für einen ehemaligen Diplomaten ungewöhnlich freimütig hat der ehemalige deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger dieser Tage der „Berliner Zeitung“ erzählt, schon bei Powells Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat habe jedermann dort gewusst, dass die von ihm ebenfalls zitierten Berichte des britischen Geheimdienstes über angebliche irakische Urankäufe in Niger falsch waren. Das Dossier habe Dokumente enthalten, die von nigrischen Politikern unterschrieben waren, die schon seit zehn Jahren tot waren.
Über ein leicht unscharfes Schwarz-Weiß-Foto eines angeblichen fahrbaren Biowaffenlabors, das das US-Verteidigungsministerium präsentierte, erinnert sich Pleuger, habe der damalige UN-Inspekteur Hans Blix später eine aufschlussreiche Bemerkung gemacht. Er habe das Foto in Farbe und mit besserer Auflösung gesehen, zitiert Pleuger seinen Freund Blix. Da sei deutlich zu sehen gewesen, dass es sich um rotes Feuerwehrauto handelte. An dieser Stelle schließt sich dann auch wieder der Kreis zu dem Märchenerzähler „Curveball“.

Reinhard Urschel in der HAZ vom 07.03.2008

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