„Wenn die Meinungsbildung im Netz am etablierten öffentlichen Diskurs vorbeiläuft, dann können Sie Ihrer Aufgabe als Journalistinnen und Journalisten kaum mehr nachkommen, nämlich Dinge einzuordnen, zu analysieren, Fakten zusammenzutragen, zu diskutieren, zu bewerten. Dabei scheint das gerade angesichts der nahezu unüberschaubaren Vielfalt an Informationen und Meinungen unserer heutigen Medienwelt wichtiger denn je. Wie wollen, wie können wir darauf reagieren? Journalismus und Politik tragen ohne Zweifel eine große Verantwortung dafür, dass die demokratische Meinungsbildung lebendig bleibt.“
Diese Aussagen stammen von Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Sie sind einer Rede entnommen, die der SPD-Politiker im September zum 70. Jubiläum der Zeitung „Welt am Sonntag“ in Hamburg gehalten hat – vor 200 handverlesenen Gästen, bestehend unter anderem aus „prominente[n] Vertreter[n] aus Politik, Kultur und Medien“, wie die Welt es in einem Artikel zur Veranstaltung anführt. Im Vorspann des Beitrages heißt es weiter: „Die Axel Springer SE ließ die vor 70 Jahren in Hamburg gegründete WELT AM SONNTAG im „The Fontenay“ hochleben.“
The Fontenay ist ein Luxushotel an der Alster, derzeit kosten die Zimmer am Wochenende dort zwischen 380-7500 Euro pro Nacht. Dort also hat Olaf Scholz vor einer sehr exklusiven Elite gesprochen. Nun könnte man genauer auf Scholz‘ Rede eingehen. Man könnte feststellen, dass, wie schon bei dem Projekt „Deutschland spricht“, hochrangige Politiker und Medienvertreter gegenseitig ihren Erwartungshorizont bestätigen. Man könnte auf die Tiefsinnigkeit der Aussage eingehen, wonach Journalisten ihrer Aufgabe nicht mehr nachgehen können, wenn „die Meinungsbildung im Netz am etablierten öffentlichen Diskurs vorbeiläuft“ und fragen, was Scholz da wohl mit der Aufgabe von Journalisten eigentlich meint. Etwa: Die „Wahrheit“ der Herrschenden zu sekundieren?
Interessant aber ist vor allem die rhetorische Frage, die Scholz stellt. Wenn der SPD-Mann sagt: „Wie wollen, wie können wir reagieren?“, dann kommt mit wenigen Worten etwas zum Vorschein, was man mit einer großangelegten Studie zur Nähe von Journalismus und Politik kaum anschaulicher machen könnte. Scholz spricht tatsächlich an dieser Stelle von „Wir“.
Deutlich wird mit dem Gesagten, wie es aussieht, wenn Politiker Medien vereinnahmen – und das vermutlich unter Applaus, zumindest aber kaum unter Widerspruch der in dem Luxus-Hotel versammelten Journalisten. Gewiss: Längst ist bekannt, dass die Spitzen aus Politik und Medien immer wieder zusammenkommen – bisweilen verdächtig nahe.
mehr:
- Journalisten und Politiker: Gemeinsam im „Wir“ vereint (Marcus Klöckner, NachDenkSeiten, 12.10.2018)
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