Montag, 21. Oktober 2019

Pressefreiheit, Whistleblowing und Julian Assange – Podiumsdiskussion bei den Buchkomplizen

Pressefreiheit, Whistleblowing und Julian Assange – Podiumsdiskussion bei den Buchkomplizen {3:18}

KenFM
Am 21.10.2019 veröffentlicht 
Dürfen Journalisten publizieren, was sie wollen? Wird der Kodex der freien Presse, Quellen zu schützen und investigativ zu arbeiten angegriffen?
Mit der Inhaftierung von Julian Assange sind diese Fragen so aktuell wie nie. Doch wer berichtet kritisch darüber? Wer solidarisiert sich mit freiem Journalismus und damit mit Julian Assange, Edward Snowden oder Chelsea Manning? Auf der Frankfurter Buchmesse beschäftigt sich augenscheinlich kaum ein Stand mit diesem Thema.
Woran das liegt, welche Folgen eine solche Ignoranz haben kann und wie dringend ein solidarisches Aufbegehren für die Freilassung von Julian Assange ist, diskutieren die Podiumsgäste Sevim Dağdelen (MdB, Die Linke), Mathias Bröckers (Journalist und Bestsellerautor) und Dietrich Krauss (Journalist und Redakteur der Sendung „Die Anstalt“ auf der Messebühne der BUCHKOMPLIZEN.
Es moderiert: Markus Karsten, Verleger und Geschäftsführer des Westend Verlages.
Wir leben in Zeiten, in denen das Aufdecken von Verbrechen wie ein Verbrechen behandelt wird. Angesichts dessen und angesichts der Tragweite des Falles Assange sind nun gerade seine Journalistenkollegen dazu aufgerufen, ihre Energien zu bündeln, um diesem eklatanten Unrecht entschieden entgegenzutreten.
Der Videobeitrag wurde zuerst am 21.10.2019 auf dem YouTube-Kanal des Westend Verlages veröffentlicht.
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Die Staaten des Westens sind Demokratien. Es wird gewählt. Regierungen wechseln. Es gibt die Medien, die mehr oder weniger unabhängig sind. Es gibt Nichtregierungsorganisationen. Es gibt die Gewaltenteilung. Das ist alles schön und gut, und wir sollten uns darüber freuen. Denn es könnte tatsächlich schlimmer sein.

Aber unter dieser Oberfläche gibt es unsichtbare Tiefenstrukturen. Von Macht und Rechtlosigkeit, von Überwachung und Kontrolle und von Gehorsam. Vor allem von Gehorsam. Es gibt eine funktionstüchtige Infrastruktur des vollkommenen Polizeistaats, in die wir alle eingebettet sind. Wir sehen sie nicht. Wir spüren sie nicht. Aber sie umgibt uns. Wir leben in einem ruhenden Polizeistaat, in einem schlafenden Polizeistaat – der jederzeit zum Leben erweckt werden kann.

Wer diesem Rechtsstaat in die Quere kommt, kann sich auf einiges gefasst machen. Chelsea Manning verbrachte neun Monate in Isolationshaft. Sie musste nachts ihre Kleider abgeben und morgens nackt vor der Zelle antreten. Körperliche Übungen waren ihr verboten. Das Licht brannte unablässig. Das ist der Rechtsstaat.

Und Selbsttäuschung war es, die viele Journalisten in Deutschland eher mürrisch auf die Wikileaks-Veröffentlichungen reagieren ließ. Der Herausgeber der Zeit, Josef Joffe, war da typisch. Er schrieb, er wünsche sich „keinen Ein-Mann-Rächer, der nach eigenem Geschmack entscheidet, was zu veröffentlichen sei. Dafür haben wir Parlamente und Gerichte, also den Rechtsstaat“. Normalerweise rechtfertigen staatliche Stellen mit solchen Worten die Knebelung der Presse. Nur zur Erinnerung: Die Folter in Abu Ghraib, das grausame Waterboarding in den Gefängnissen der CIA, das Niedermähen unbewaffneter Zivilisten in Afghanistan – all das, was die USA in gefährliche Nähe zu den Unrechtsregimen im Nahen Osten, zu China und zur untergegangenen Sowjetunion gebracht hat, ist eben nicht durch „Parlamente und Gerichte“ an den Tag gekommen, sondern durch Whistleblower. […
]
Nach US-amerikanischem Recht ist die Überwachung der Welt erlaubt. Was soll das? Diesen Rechtsanspruch können sich die Amerikaner gar nicht selbst genehmigen.

In Bezug auf ihre Auffassung von Sicherheitspolitik sind die USA heute ein totalitärer Staat. Solange das so ist, haben wir eine besondere Verpflichtung, wir in Europa, wir in Deutschland. Es ist die Verpflichtung, die Flamme der Freiheit nicht ausgehen zu lassen. Es ist die Verpflichtung, jenen, die gegen diesen Totalitarismus kämpfen, Schutz zu gewähren.
[Jakob Augstein, Vater aller Whistleblowerder Freitag, 03.03.2016, Hervorhebungen von mir
siehe auch:
Pressefreiheit: Geschwärzte Titelseiten, Staatsgeheimnisse und seltsame Todesfälle (Post, 21.10.2019)
„Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur“ – Alexander Unzicker bei BUCHKOMPLIZEN (Post, 21.10.2019)
Assange wird fertiggemacht… (Post, 09.09.2019)



Ich darf auch keine aktive Hilfe leisten, wenn jemand anders diese Dokumente hackt, um sie mir zu übermitteln.[…]
Für Journalisten ist die Affäre um Assange eine Zwickmühle, in der sie nicht gewinnen können. Solidarisieren sie sich vorbehaltlos mit Assange, dann stellen sie die Arbeitsweise der Presse unter Generalverdacht. Diktatoren und Autokraten werden Journalisten reflexhaft unterstellen, dass Journalisten nur mit illegalen Methoden und aus politischen Motiven an unbequeme Informationen gelangen konnten.

Distanzieren sie sich hingegen von Assange, liefern sie den gleichen Leuten ebenfalls wieder Munition, da das Leaken selbst mit Wikileaks symbolisch auf der Anklagebank sitzt – auch dank der Inszenierungskunst Assanges. Soll man still daneben sitzen, wenn ein Präsident, der in immer schrilleren Tönen die Presse als Volksfeinde verunglimpft, die Veröffentlichung wahrer Informationen aburteilen lässt?
Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Wenn es so weitergeht, ist uns allenfalls der Schrecken gewiss.
[Torsten Kleinz, Kommentar: Assange und die Pressefreiheit – Journalisten in der Zwickmühleheise online, 12.04.2019]

Heute wieder mal in der Tagesschau eine glatte Lüge:

"Die Stockholmer Staatsanwaltschaft legte die Ermittlungen 2017 zu den Akten, weil der damals in London im Botschaftsexil lebende Assange für sie nicht erreichbar war."

https://www.tagesschau.de/ausland/assange-auslieferung-101.html

Hallo? Assange war nicht nur jahrelang erreichbar, sondern er wurde sogar von der schwedischen Staatsanwaltschaft in der Botschaft besucht und befragt (nachdem sie ihn jahrelang hingehalten hatten). Erst DANACH wurde das Ermittlungsverfahren ohne Anklageerhebung eingestellt.

Wenn man ein Ermittlungsverfahren nach Aufnahme aller Beweise und Befragung aller Beteiligten einstellt, dann war da nix.

Aber hauptsache ÖR-News für's Dummvieh. Wer das nicht schon wußte, wird es von der Tagesschau jedenfalls nie erfahren.
[User sou, in seinem Kommentar zum heise-online-Artikel, 13.04.2019 19:08]
zur Befragung von Julien Assange in der ecuadorianischen Botschaft:
- WikiLeaks-Gründer – Schwedische Staatsanwaltschaft befragt Julian Assange (SPON, 14.11.2016)




- Gleiwitz 2.0 – transatlantischer Kleber übt schon mal öffentlich für den Ernstfall (Post, 07.04.2019)
Das kontinuierliche Ringen um die Deutungshoheit (Post, 28.12.2018)
Lügenpresse Teil 2 – Wie es dazu kam, dass es plötzlich nur noch ein einziges Märchen gab (Post, 16.02.2016)
- Deutsche Chefredakteure als Kanzleramtsmitarbeiter (Post, 08.06.2015)
5 Thesen zum Misstrauen gegen Medien (Post, 19.12.2014)
"Stoppt Putin jetzt!"-Cover war nur halbschlimm (Post, 11.09.2014)
BRITISCHER GEHEIMDIENST: GCHQ plant Rufmord im Netz (FAZ, 25.02.2014)
Richter gegen Chefredakteur 5:0 (Post, 15.04.2014)


Dirk Pohlmann über "Der duale Staat: Recht, Macht und Ausnahmezustand" {2:06:59 – Start bei 2:04:19}

Gruppe42
Am 16.05.2018 veröffentlicht 
"Der Staat - das klingt in unseren Ohren nicht unbedingt freundlich, aber es klingt nach Recht und Ordnung. In der Schule und an der Universität erfahren wir von den ehernen Regeln der Demokratie. Gewaltenteilung, Rechtsstaat, Wahlen, parlamentarische Repräsentanz, alles scheint altehrwürdig und wohlgeregelt im Staats und Verfassungsrecht. Bis in die Details und bis in die letzten Winkel ist festgelegt, wer nach welchen Regeln für was zuständig und verantworlich ist. Dass daran nicht gerüttelt wird, dafür sorgt die Demokratie, sie bezeichnet sich selbst gerne als „wehrhaft“.
Da ist ein Begriff wie „Deep State“ oder „Dualer Staat“ störend. Er legt nahe, dass es neben dem bekannten, demokratisch legitimierten Staat noch einen anderen gibt, der nicht gewählt wird, der sich selbst ermächtig, der eingreift, wann es passt. Aber wann? Wer bildet ihn? Was tut er? Wann tötet er? Warum liest man darüber so wenig? Und warum beschäftigen sich „seriöse“ Medien damit eigentlich überhaupt nicht? Medien, Politiker und Universitätslehrer verweisen den Begriff des „parallelen Staates" gerne in den Bereich der „Verschwörungstheorien“.
Und doch ist er real. In allen Staatsformen, aber insbesondere in der Demokratie, gibt es im Unterschied zum normativen Ideal die realpolitische Existenz eines „Machtstaates“ oder „Maßnahmenstaates“, des "Deep State". Auch akademische Politologen und Rechtswissenschaftler haben sich damit beschäftigt, ausnahmslos Personen, die sich mit dem Widerspruch zwischen Realpolitik einerseits und der Idee des liberalen Rechtsstaates andererseits beschäftigt haben. Sie haben erkannt: Der „Deep State" hängt mit den Erfordernissen der Hegemonialmacht im „Grossraum“ zusammen.
Dementsprechend gibt es Länder, in denen der „Tiefe Staat“ Alltagswissen ist, z.B. die Türkei oder Italien. Dort ist die Realität des parallelen Staates so unübersehbar zutage getreten, dass auch Staatspräsidenten von ihm reden - müssen. Und es gibt Länder, in denen man in öffentlichen Ämtern nicht von ihm sprechen kann, ohne Reputation und Karriere zu riskieren.
Die staatstragenden Kräfte vieler Länder blenden diese Realität deshalb weiter aus. Oder sie versuchen es zumindest. Aber auch in diesen Ländern ist der „Deep State“ aktiv geworden. Nicht nur in Vasallenstaaten, sondern auch im Zentralreich des Hegemons selbst.
Anhand praktischer Beispiele legt der Journalist Dirk Pohlmann praktisch und theoretisch dar, was es mit dem "Deep State“ auf sich hat. Sein Vortrag ist eine Mischung aus staatsrechtlicher Analyse und Bericht, wann und wo der Deep State sichtbar geworden ist. Ein spannendes Thema, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann. Es ist besser, darüber Bescheid zu wissen, als nur die Konsequenzen verständnislos erleben zu müssen.
https://gruppe42.com/
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