Sonntag, 17. Juni 2018

Vom Sturm auf die Bastille bis zum 11. September 2001

Als der Kalte Krieg 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer an sein Ende kam, herrschte in der westlichen Welt ein sehr optimistisches Lebensgefühl vor. Damals, so schien es zumindest, konnte man als Staatsbürger dem Glauben anhängen, in einen größeren Zusammenhang eingebunden zu sein; nämlich in einen Zusammenhang, der trotz aller administrativen Mechanik des modernen Staates doch noch ein sittliches Fundament aufwies. Natürlich gab es auch damals schon unabhängige Intellektuelle, bei denen durch das Studium etwa der Barschel-Affäre1 in Deutschland oder des Iran-Contra-Skandals2 in den USA erhebliche Zweifel an den republikanischen Grundlagen des modernen Staates aufgekommen waren. In den Büchern, in denen sie ihre Recherchen veröffentlichten, warfen sie die skeptische Frage auf, ob es nicht denkbar sei, dass unter der Oberfläche des öffentlichen Staates noch ganz andere Strukturen vorhanden sein könnten, Tiefenstrukturen der Staatlichkeit sozusagen, die jenseits des öffentlichen Selbstverständnisses und der öffentlichen Legitimation noch ganz andere Ziele verfolgten. Sollte man – so warnten damals diese Forscher – dieser Netzwerke nicht bald Herr werden, so würden sie mit der Zeit immer mächtiger werden. Schließlich könnten sie sogar dazu übergehen, die republikanische Ordnung der Nachkriegsepoche selbst zu untergraben.3 Doch Analysen dieser Art beeinflussten damals nur eine kleine Subkultur. Es war ein außerordentlich begrenzter Kreis von meist linken Aktivisten, die diese Fragen überhaupt zur Kenntnis nahmen und sich darüber beunruhigten.

Doch Geschichte vollzieht sich, indem sich viele kleine Änderungen summieren und schließlich in eine neue Beschaffenheit des Ganzen umschlagen. Irgendwann beziehungsweise irgendwo zwischen der Snowden-Affäre, der Ukraine-Krise und dem Eingreifen Russlands in den Syrienkrieg ist es zu einer Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung gekommen. Eine Aufklärungsbewegung ist entstanden, die sich dem Ziel verschrieben hat, das gestörte Verhältnis der westlichen Staaten gegenüber ihren Bürgern wiederherzustellen. Und so ist die Sorge, die in den 1980er Jahren lediglich eine kleine isolierte Gruppe von Autoren beschäftigte, nun ins grelle Licht der Öffentlichkeit gerückt: die Diskussion um den „Tiefenstaat“.

mehr:
- Gesellschaft: Vom Sturm auf die Bastille bis zum 11. September 2001 – Der Aufstieg und der drohende Fall des republikanischen Zeitalters (Hauke Ritz, Hintergrund, 28.05.2018)
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