Freitag, 12. Dezember 2014

Gegen den Krieg – Können wir sachlich bleiben?

Der Krieg ist ein besseres Geschäft als der Friede.
Ich habe noch niemanden gekannt,
der sich zur Stillung seiner Geldgier
auf Erhaltung und Förderung des Friedens geworfen hätte.
Die beutegierige Canaille
hat von eh und je auf Krieg spekuliert.
(Carl von Ossietzky, 1882 - 1945, in der Weltbühne vom 8. Dezember 1931;
gefunden bei ossietzky.net)


In wenigen Tagen, am 13.12.2014, wird es in verschiedenen deutschen Städten Demonstrationen für die Erhaltung des Friedens und die Rückkehr, bzw. den Aufbruch zu einem neuen Dialog mit Russland geben.

Passend zu diesem Anlass erschien vor wenigen Tagen der Aufruf von 64 Prominenten „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“, der zur Entwicklung einer neuen Entspannungspolitik gegenüber Russland aufruft. Kern dürfte der Satz sein, in dem eine „für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin“ als Fehler konstatiert wird. Dieser Aufruf ist, ungeachtet möglicher Vorbehalte zu einzelnen Passagen, in vollem Umfange zu begrüßen. Endlich haben die Widersprüche des sinnlosen Sanktionskrieges gegen Russland auch die politischen Etagen der etablierten Politik erreicht.

Selbstverständlich hat dieser Aufruf, initiiert und getragen von Kräften der etablierten Politik, auch die Funktion – wenn nicht bewusst, so doch faktisch – den wachsenden Unmut an der Basis der Bevölkerung zu integrieren, die sich nicht weiter in eine gefährlich eskalierende Konfrontation mit Russland hineinmanövrieren lassen will. Weniger freundlich ausgedrückt, der Aufruf hat auch die Funktion, der Kritik das Wasser abzugraben und sie auf seichteres Fahrwasser umzulenken, indem die Schuld für die Eskalation gleichermaßen auf den „Westen“, der sich zu sehr nach Osten ausgedehnt habe wie auch auf „Moskau“, das die Krim völkerrechtswidrig annektiert habe, verteilt wird.

mehr:
- Gegen den Krieg – Können wir sachlich bleiben? (Kai Ehlers, Hintergrund, 10.12.2014)
Ich gab meinen Arbeitsplatz, meine Karriere,
meine Sicherheitseinstufung auf
und setzte meine Freiheit aufs Spiel.
Und das alles für ein Unterfangen
mit ungewissem Ausgang, in der Annahme,
dass sich die Öffentlichkeit,
wenn sie die Tragweite der ihr
25 Jahre lang aufgetischten Lügen
zur Schlächterei in Vietnam erführe,
gegen den Krieg entscheiden würde.
Leider lernt man dabei etwas
über seine Mitmenschen,
das man eigentlich gar nicht wissen will:
daß sie zuhören, daraus lernen,
sogar verstehen …
und es dann aber weiter ignorieren.
 (Daniel Ellsberg, *1931, Whistleblower, mitverantwortlich für die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere 1971, in einem Radio-Interview 1972, zitiert aus  
Der gefährlichste Mann in Amerika – Daniel Ellsberg und die Pentagon-Papiere
[hier zu finden ab 1:19:20])

Menschen kämpfen für ihre Freiheit
und gewinnen diese mittels einer sehr harten Schule.
Ihre Kinder, aufgewachsen in Gelassenheit,
lassen sie sich wieder entgleiten, diese armen Narren.
Und deren Enkel avancieren einmal mehr zu Sklaven.
(D. H. Lawrence, 1885 - 1930, englischer Schriftsteller)

»Die Studenten glaubten,
indem sie ihren Protest aus den Universitäten
in die Öffentlichkeit trugen,
der Sache der Arbeiter zu dienen.
Die Arbeiter nicht.
Irgendwie wollten die Arbeiter nicht
das richtige Klassenbewußtsein eintwickeln.
Vielleicht wollten sie lieber einen Opel Kadett…«

(Die Meinung der Arbeiter über Studenten der 68er-Bewegung, Sprecher, Quelle: Gegen-Sozialismus.jimdo.com)


zum Aufruf in der ZEIT:
Ukraine-Krise : "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" (ZEIT Online, 05.12.2014)
Das Risiko sich politisch zu engagieren ist wesentlich geringer als das Risiko, sich politisch rauszuhalten.
 (Roberta J. Apfel, Psychiatrist in Jamaica Plain, Massachusetts and is affiliated with Beth Israel Deaconess Medical Center. She received her medical degree from Boston University School of Medicine (graduated in 1962) and has been in practice for 53 years. She is one of 156 doctors at Beth Israel Deaconess Medical Center who specialize in Psychiatry. Zitat gefunden in Thomas Auchter, Die Angst vor George W. Bush und die Angst von George W. Bush Zur Psychoanalyse von Macht und Gewalt (1), publiziert in: Psychoanalyse im Widerspruch 37 (2007), Gießen (Psychosozial Verlag), S. 59-80, Aachener FriedenspreisMagazin Aixpaix)

siehe auch:
- Das Imperium schlägt zurück – Die Reaktion der „Qualitätsmedien“ auf den Aufruf: „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ (Jens Berger, NachDenkSeiten, 09.12.2014) 


Es ist ebenso wichtig
die Unterstützung der Öffentlichkeit zu mobilisieren,
wie die Streitkräfte für den Krieg zu rüsten.
Die Moral steht im Zentrum des Krieges
und nicht die physische Stärke.
Sieg wird nicht durch Vernichtung erreicht,
sondern durch das Zerbrechen der gegnerischen Moral.
Ziel des Krieges ist die Moral des Feindes.
 (Carl von Clausewitz, 1780 - 1831, preußischer General, Militärtheoretiker und -ethiker;
gefunden bei Wikipedia)


Und den bislang gültigen Gebrauch
der Namen für die Dinge
vertauschten sie nach ihrer Willkür:
unbedachtes Losstürmen galt nun
als Tapferkeit und gute Kameradschaft,
aber vordenkendes Zögern
als aufgeschmückte Feigheit,
Sittlichkeit
als Deckmantel einer ängstlichen Natur,
Klugsein bei jedem Ding
als Schlaffheit zu jeder Tat […]
Wer schalt und eiferte,
galt immer für glaubwürdig,
wer ihm widersprach, für verdächtig.
 (Thukydides, 454 v. Chr. - ca. 398 v. Chr., Geschichte des Pelloponesischen Krieges
siehe auch:
- Der Kampf um die Führung in Europa – Historisches und Aktuelles zum „Kalten Krieg“ (Jochen Scholz, Hintergrund, 09.12.2014)
Wer im Kalten Krieg aufgewachsen ist, kommt gar nicht umhin, Parallelen zu der von Politik und Medien unisono behaupteten neuen Bedrohung durch Russland zu ziehen, die seit dem Kiewer Putsch im Februar 2014 Politikerreden, TV-Nachrichtensendungen und die Kommentarseiten der Tageszeitungen beherrscht. Die Bundeskanzlerin verstieg sich in der Generaldebatte zum Haushalt 2015 am 26. November zu der Aussage „Russland stellt die europäische Friedensordnung infrage und bricht internationales Recht." (1) Beim NATO-Gipfel am 4. und 5. September 2014 in Newport/Wales beschlossen (2) die Staats- und Regierungschefs den Aufbau einer 3.000 bis 5.000 Soldaten umfassenden „Speerspitze“ für die seit 2004 existierende „NATO Response Force“ (3), um deren Reaktionsschnelligkeit zu erhöhen und Russland von einem Angriff auf seine Nachbarn abzuschrecken.

Ob diese gezielte Beeinflussung der Bevölkerung im Vergleich zum Kalten Krieg zu einer Akzeptanz der westlichen Konfrontationspolitik beim Wähler führt, steht dahin. Die Schließung der Kommentarfunktionen in den Online-Ausgaben von Spiegel, Süddeutscher Zeitung und FAZ (hier nur beim Thema Russland) spricht jedoch nicht dafür. Offensichtlich ist die Deutungshoheit der Leitmedien über das politische Geschehen durch die Informationsmöglichkeiten im Internet ins Wanken geraten. Ein Beispiel ist das Blog des ehemaligen Militäranalysten „The Vineyard of the Saker“, der mit seiner Satire eine subtile NATO-Propaganda entlarvt, indem er eine BBC-Schlagzeile verfremdet: „Russischer Befehlshaber warnt, die USA könnten die Kontrolle über den ganzen Golf von Mexiko gewinnen.“ (4)

Dass die Bürger gut beraten sind, die Begründungen für die Entscheidungen der Politik der „westlichen Wertegemeinschaft“ besonders zu hinterfragen, wenn es um Russland geht, soll an zwei Beispielen deutlich werden. An der offiziellen Darstellung des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan 1979 und den Plänen der USA für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der Westen gewann die Weltherrschaft
nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen
oder Werte oder Religion,
sondern vielmehr durch seine Überlegenheit
bei der Anwendung organisierter Gewalt.
(Samuel Phillips Huntington, 1927-2008, US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Autor)

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