Freitag, 12. Dezember 2014

Warum Matthias Platzeck recht hat

Ruge, 60, ist ein deutscher Schriftsteller und lebt in Berlin. Für seinen Debütroman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" (2011) erhielt er den Deutschen Buchpreis. Bevor er 1988 in die BRD ging, hatte er als Mathematiker an der Akademie der Wissenschaften in der DDR gearbeitet. Nach der Wende war er Autor für Theater, Funk und Film. Ruge ist Sohn des Historikers Wolfgang Ruge, der 1933 in die Sowjetunion geflüchtet war und dort nach dem Überfall des Deutschen Reiches wegen seiner Herkunft in ein Straflager im Ural deportiert worden war, wo auch sein Sohn Eugen geboren wurde. Die harschen Reaktionen auf die Bemerkungen des ehemaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden des Deutsch-Russischen Forums Matthias Platzeck, "die Krimfrage völkerrechtlich hinnehmbar" zu regeln, veranlassten Ruge zu diesem Text.

Matthias Platzeck war schon zu DDR-Zeiten unangepasst. Das kann man von der Angela Merkel nicht sagen. Sie hat sich bekanntlich erst einen Monat nach der Wende überlegt, dass sie eigentlich schon immer gegen die DDR war. Ihr Demokratieverständnis ist auf eindrucksvolle Weise robust geblieben: Wer aufmuckt, wird geschasst, weggelobt, entlassen oder wegintrigiert. Matthias Platzeck wird nun aus dem Petersburger Dialog gedrängt, weil er, siehe an, nicht die Auffassung der Kanzlerin vertritt. Sein Vorschlag lautete in Kurzform: eine demokratische Lösung für die Krim.

Denn es ist keineswegs so, dass Matthias Platzeck für die Anerkennung der "völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Putin" wirbt, wie uns einige weismachen wollen, sondern er hat vorgeschlagen, die Volksabstimmung auf der Krim unter OSZE-Beobachtung zu wiederholen. Dieser Vorschlag wird nicht nur abgelehnt, er darf nicht einmal gemacht werden. Wie lange noch, bis man für prorussische Äußerungen einen Schulverweis kriegt?

Der Ausdruck "völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin" ist zu einer Art ideologischer Konsensformel geworden. Sie ist ebenso falsch wie verräterisch. Schon die Personifizierung des Bösen ist problematisch. So spricht man gern, wenn auch unzutreffend, über Figuren wie Hitler, und tatsächlich ist Putin nicht nur in Amerika, sondern sogar im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen mit Hitler verglichen worden. Dass deutlich über 60 Prozent der Russen diesen Mann zu ihrem Präsidenten gewählt haben und noch weit mehr in der Ukraine-Frage hinter ihm stehen, kann man falsch finden. Ihn mit Hitler zu vergleichen heißt, einem Volk, das wie kaum ein anderes unter dem faschistischen Krieg gelitten hat, ins Gesicht zu spucken.

Putin hat die Krim annektiert - ganz allein? Warum vermeidet es die Kanzlerin zu sagen, russische Streitkräfte hätten die Krim annektiert, also gemäß Duden gewaltsam und widerrechtlich in Besitz genommen - was übrigens den Zusatz "völkerrechtswidrig" überflüssig machte. Sie sagt es nicht, weil diese Formulierung ihre Fragwürdigkeit verdeutlichen würde.

mehr:
- Debatte - Die Hybris des Westens (Eugen Ruge, SPIEGEL, 08.12.2014)

siehe auch:

- Wider den öffentlichen Dialog mit Russland – Unsere Bundesmama und zwei ungehorsame Kinder (Post, 26.11.2014)

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